Speechless (German Edition)
den Blick über den Älteren wandern, ehe er ihm auffiel, dass die Mullbinden um dessen Handgelenke verschwunden waren.
Der Anblick jagte ihm einen eiskalten Schauer über den Rücken und er musste schlucken. Einige von den Schnitten hatten bereits wieder begonnen, zu bluten, da die sich gebildete Kruste wohl zu dünn gewesen war…
„Steh auf, Eneas. Wir müssen da etwas drumbinden“, meinte er und erhob sich selbst.
Doch schüttelte Eneas nur den Kopf, blieb stur liegen und schloss die Augen wieder.
„Soll ich Raven hochrufen?“
Wieder nur ein Kopfschütteln und ein Seufzten Cassiels.
„Eneas, bitte.“
Es kam jedoch nicht einmal der Ansatz einer Bewegung, sodass sich Cassiel gezwungen sah, ihn auszufragen, damit er einen Schluss ziehen könnte.
„Was ist es? Darren?“
Es folgte ein Nicken.
„Was hat er gemacht? Irgendwas, was du nicht wolltest?“
Wieder ein Nicken.
„Raven und ich waren gestern im Pub.“
Es folge ein Nicken und eine Geste, die ihm zeigte, dass Eneas dies bereits wusste. Jedoch nahm er es wohl nicht so sonderlich ernst.
„Darren hat doch sehr freundlich gewirkt. Er versteht dich doch …“
Wieder folgte nur ein Nicken, jedoch in Begleitung eines leichten Seufzens. „Was wolltest du denn nicht?“
Es folgte diese an Schulen verbotene Geste, die man gern verwendete, um anzudeuten, dass man Sex hatte oder haben würde.
Cassiel verstand sofort, nickte und bedachte ihn mit einem überlegenden Blick. „Und nachdem du abgelehnt hast?“
Eneas drehte seinen Kopf leicht zur Seite, sodass er den Blick auf die rechte Wange hatte. Sofort stach ihm die violette Farbe ins Auge, die der Wangenknochen bereits aufwies. „Er hat dich geschlagen?“, fragte er, klang geschockt und zugleich wütend.
Nickend richtete sich Eneas nun doch auf und Cassiel nahm gleich dessen Hände sanft in seine. Dünne, helle Spuren Blut hatten sich aus den wieder aufgerissenen Schnitten gelöst und liefen über die helle Haut und drohten auf das Bettzeug zu tropfen.
„Warum bist du gestern zu mir ins Bett gekommen?“, fragte er weiter, wischte die blutige Spur weg. Er bekam keine Antwort und er hatte damit bereits damit gerechnet. Aber es war ok.
„Komm, stehst du auf?“
Eneas erhob sich von seinem Bett und ließ sich von Cassiel ins Bad führen.
Wie damals, als sie sich kennen gelernt hatten, setzte er Eneas auf den Wannenrand, nahm sich aus einem der Schränke das Verbandsmaterial und kniete sich vor ihn.
Die ganze Zeit fühlte er Eneas’ Blick direkt auf sich, fühlte, wie dieser seine Handlungen verfolgte.
Das Blut abwischend, schraubte er den Deckel einer Tube Wund- und Heilsalbe auf und verteilte vorsichtig etwas von dem Inhalt auf den Schnitten.
Teils waren sie so fein, wie bloße Kratzer, andere schienen wie klaffende Furchen. Es tat ihm unheimlich weh, dies zu sehen. Warum auch immer, aber es versetzte ihm einen kräftigen Stich ins Herz.
Fest und dennoch darauf bedacht, ihm nicht wehzutun, legte er den Verband um und wusch sich letztlich die Hände. Den Blick auf die weiße Keramik gerichtet, sah er das für einen Moment rot verfärbte Wasser, ehe es wieder klar wurde.
Cassiel stellte das Wasser ab, trocknete sich die Hände und spürte wenig später, wie Eneas hinter ihm stand.
Arme legten sich um seine Taille und Eneas barg sein Gesicht in seiner Halsbeuge.
„Eneas…“, sprach er ihn an, legte seine Hände auf die des Älteren, versuchte sie von sich zu lösen, ging dabei jedoch so halbherzig vor, dass er diese nicht loswurde.
Und statt ihn los zu lassen, strichen die vergleichbar großen Hände des Gamedesigners über seinen Bauch, ein Kuss wurde auf seinen Hals gedrückt und Eneas entfernte sich wieder von ihm, lächelte ein süßes Lächeln und fasste Cassiels Hand.
Er war einfach zu sanft für einen Mann.
Eneas war so anders, als alle anderen es waren. Sanft, zerbrechlich, verletzlich und irgendwie … auf eine Art und Weise für sich auch stark…
Andere hätten den Schnitt schon längst anders gesetzt, sodass ihnen nicht mehr zu helfen gewesen wäre. Andere hätten das Leben schon längst beendet und er vermutete, dass Eneas es zwar versuchte, aber es hatte vorher ja nie funktioniert. Egal welcher Versuch, das Leben zu beenden. Er folgte ihm in den ersten Stock, machte seine Hand aber von Eneas los. „Ich gehe mich eben … vernünftig anziehen“, teilte er ihm mit und Eneas nickte, verschwand schon nach unten.
Cassiel atmete tief durch,
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