Speichelfaeden in der Buttermilch
Furchtbar. Ich fliege old-school. Mit Swissair oder British Airways. Letztens nach Vorarlberg um 1745 Euro, nicht billig, ich weiß, aber dafür ohne diese Im-Urlaub-Handy-Ausschalter und ohne die Im-Netz-nach-2-Euro-Flügen-Ausschauhalter an Bord. Ohne Stermann eben. Bis morgen, liebes Tagebuch.
17.8. (Tagebuch allein)
Hatte gestern einen Traum, liebes Tagebuch. Alle Österreicher außer mir werden vom flotten Expedition-Österreich-Team gezwungen, aus Österreich auszuwandern. Und ich schaue ihnen dabei zu – am Sofa sitzend – Beine hochgelagert. Dann hätte dieser eingeschlafene Wanderwahnsinn endlich die gewünschten 100% Marktanteil, weil ich ja der einzige potenzielle Zuseher bin. Ganz vorn marschieren schweißüberströmt der komplett unnötige Clerici und die hochnotpeinliche, schwer schnaufende Weichselbraun. Und dahinter die acht Millionen anderen. Alle raus aus Österreich. Bis sie die Kamera verliert irgendwo am Horizont, und keiner hat sie jemals wiedergesehen. Keiner weiß, was aus ihnen wurde. Ob der Clerici vielleicht als kroatischer Zuhälter in Pula anheuert und die Weichselbraun sein bestes Pferdchen im Stall wird? Wer weiß es, wer weiß es, liebes Tagebuch? Mir soll alles Recht sein, ich spazier durch leere Straßen, sitz in den ruhigsten Cafes und bin am Abend endlich allein im Apollo-Kino!
Der Gasmann, liebes Tagebuch, riss mich um 8 Uhr früh aus diesem göttlichen Traum.
18.8.
Liebes Tagebuch, schon wieder ist Luna Luce heulend aus dem Chefbüro gelaufen. Das heißt wohl, dass auch ihr erneuter Versuch gescheitert ist, bei FM4 eine Briefmarken-Show zu installieren. Luna Luce ist seit ihrem siebten Lebensjahr begeisterte Philatelistin, und sie träumt davon, eine Sendung rund um Postwertzeichen zu moderieren. Gestempelte, ungestempelte, Sonderdrucke und internationale Briefmarken – das ist ihre Welt. Für ihre Pilotsendung hat sie den schönen Arbeitstitel »Das Briefmarkenalbum der Woche« gefunden. Die herzlose Chefin Eigensperger hat ihre Idee abgeschossen mit dem fadenscheinigen Argument, dass Briefmarken uncool seien. Quatsch. Uncool ist es, wenn Briefmarkensammler gezwungen werden, über Popkultur und Stars und Sternchen und Gossip reden zu müssen.
Liebes Tagebuch, FM4 ist wahrlich nicht der Ort für Selbstverwirklichung. Duncan Larkin muss als Langschläfer und Nachtmensch die »Morning Show« moderieren, Rainer Springenschmid und Stuart Freeman hassen sich bis aufs Blut, müssen aber zusammenarbeiten. Claudia Unterweger ekelt sich vor Studiogästen, hat aber ständig welche. Mona Moore hat eine fürchterliche Telefonphobie, muss aber das »Doppelzimmer« moderieren. Dass Wortchef Pieper Legastheniker, Agrammatiker und Bücherfeind ist, kann in dieser Reihe auch nicht wirklich überraschen. Manchmal hab ich das Gefühl, dass ein betrunkener Sadist bei FM4 die Aufgaben verteilt hat. Vielleicht der Teufel selbst, denke ich mir jedes Mal, wenn ich in Grissemanns grobschlächtiges und feindseliges Gesicht blicke.
20.8.
Liebes Tagebuch, die blassesten und ungelenksten Kollegen tragen gelb-grüne, brasilianische Papageientrikots. Wie kommt das? Glauben sie ernsthaft, sich so in südamerikanische Samba-Papagalli verwandeln zu können? Dicke, weißbeinige Bauernsöhne aus Melk oder Tulln oder Waidhofen an der Ybbs bleiben immer dicke, weißbeinige Bauernsöhne aus Melk oder Tulln oder Waidhofen an der Ybbs. Da können sie Brasilientrikots oder Jamaicaleibchen anziehen, »Velvet Underground»-T-Shirts oder »Franz Ferdinand«-Hemden. Allein durchs Kiffen wird niemand Rastafari und durch blöde Frisuren nicht jeder Andy Warhol. Ich, als einziger Kosmopolit und Intellektueller bei FM4 , hab jetzt an alle männlichen Kollegen schwarze T-Shirts verteilt, auf denen ein Satz steht, der ihrer ländlichen Herkunft und geistigen Beschränktheit Ausdruck gibt. Auf dem T-Shirt steht »Fang i di, fick i di!«
Liebes Tagebuch, Grissemann kleidet sich wie Serge Gainsbourg, sieht dabei aber aus wie der Seriendarsteller Serge Falck, wenn man es freundlich ausdrücken will. Ehrlichere Stimmen würden sagen, er sieht aus wie der Ex-Kicker Peter Stöger. Mein Kollege gibt sich den Künstler-Anschein, wirkt dabei aber wie eine Künstlerkarikatur aus den frühen 80er Jahren. Na ja, immerhin eine Weiterentwicklung. Im letzten Jahr hat er sich noch gekleidet wie Simone de Beauvoir, wirkte dabei aber eher wie Kriemhild Trattnig. Und als er die Bertolt-Brecht-Phase hatte, wurde er vom ORF -Portier
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