Speichelfaeden in der Buttermilch
so entstand, gefiel ihr so gut, dass sie gleich noch einmal zuschlug. Wieder brach der entnervte Alleinunterhalter über seinen Tasten zusammen. Diesmal aber entstand eine andere Melodie, keine schöne. Zornig schlug Henriette Mett noch einmal zu und setzte sich unter ihr Geburtstagsfass Bier. Sie trank das Fass auf ex. »Da lebt man 80 Jahre, geht zu jeder Party von jedem Arschloch, zu jeder verfickten Taufe und jeder beschissenen Hochzeit, aber wenn es um einen selber geht, wenn es ums Ihnchen geht, sind sich die Damen und Herren Wixer wohl zu fein!«, dachte sie. Seit 60 Jahren hatte sie sich auf diesen Tag gefreut, sich nie etwas gegönnt, alles Geld gespart für dieses Fest. Nie im Urlaub gewesen, nie Fleisch gegessen, nie eine warme Mahlzeit, keine Brustvergrößerung, nicht einmal für eine Spirale Geld zum Fenster rausgeschmissen, von der Pille ganz zu schweigen. Ihre zwölf Kinder zuhause bekommen, ohne Hebamme, sie alle zur Welt gebracht, während sie für ein Callcenter arbeitend Geld verdiente, immer dieses Ziel vor Augen: ein rauschendes Geburtstagsfest zum 80er! Und jetzt? Jetzt lag sie allein und besoffen zwischen Kaviarbergen und glibberigen Austernmassen. Was für ein Reinfall! Was für eine Riesenenttäuschung! Um 22.00 Uhr, als der verbrunzte Alleinunterhalter längst schnarchend auf seiner Orgel und Henriette in einer Lache aus Tränen und Bier lag, öffnete sich die Tür des Restaurants. Verschwommen erkannte Henriette die Stargäste des Abends. Das hätte die Überraschung sein sollen für ihre Gäste, die nicht gekommen waren, eine Band, nicht irgendeine, nein, die »Flippers«! »Frau Mett, sind wir hier richtig?«, rief der kleinwüchsige, dickleibige Schlagzeuger der »Flippers«. »Tolle Party!«, sagte er und übergab sich fast vor Lachen. Fast eine halbe Million Mark hatte sie sich die »Flippers« kosten lassen, und jetzt wurde sie auch noch von diesem Zwerg mit Minipli verarscht! Schamesrot sah sie dabei zu, wie die »Flippers« ihre Instrumente aufbauten und eine langsame Nummer zum Tanze spielten. Da sonst niemand da war, musste sie mit dem schmierigen Alleinunterhalter vorliebnehmen. Sie tanzte eng mit ihm und wurde ob seines Mundgeruchs fast ohnmächtig. Sie kam der Ohnmacht zuvor indem sie ihm mit der Faust in den Unterleib schlug, sodass er zusammenbrach. Henriette stellte sich mit einem Feuerzeug an den Bühnenrand und wippte verträumt im Rhythmus mit. Als das Konzert beendet war, überreichte sie dem Schlagzeuger einen vorbereiteten Strauß Blumen. »Danke, Oma« lispelte er und schrieb auf einen Serviette ein Autogramm. Verschämt steckte sie die Serviette ein. Hatte sie also doch noch ein Geschenk zu ihrem 80. bekommen. Erst als die »Flippers« weg waren, las sie, was der kleine dicke Schlagzeuger ihr als Widmung überreicht hatte. Da stand in krakeliger Legasthenikerschrift: »Sie können sich als gefickt betrachten.« »Irgendwann reicht's«, dachte Henriette.
Ingo Eggert
Er wachte auf, schlenderte schlaftrunken in den Stall seines Nachbarn und schlachtete alle 14 Milchkühe. Er häutete sie und schulterte die blutenden Tiere. Wieder daheim, legte er die Kühe auf sein Frühstücksbrett, und während er die Zeitung las, schlang er die 14 toten Tiere hinunter. »Was die immer schreiben«, schüttelte er seinen Kopf. Manchmal hatte er den Eindruck, die Welt spiele verrückt. »Alles Verrückte«, resümierte er und warf die Zeitung wutentbrannt ins offene Feuer, Ingo Eggert, 62 Jahre alt, Parodontosepatient aus Wolfsburg, der Erfinder der Milchschnitte für Kinder. Ingo Eggert gähnte und knackte so lange und stark mit seinen Fingern, bis sein Daumen brach. Widerwillig und angeekelt fuhr er ins Spital. »Oh, der alte widerliche Eggert!«, begrüßte ihn die geile Krankenschwester. »Hat das alte Schwein sich wieder was gebrochen, hä?« Ingo Eggert errötete. Um die peinliche Situation zu überbrücken und der jungen Frau zu imponieren, donnerte er seine Faust einem Stationsarzt ins Gesicht. »Ich habe die Kindermilchschnitte erfunden, vielleicht bekannt?«, fragte er in die verdutzte Patienten- und Götter-in-Weiß-Runde. In diesem Moment betrat sein Nachbar das Spital. Schweigend hielt er ein selbstgebasteltes Transparent in den Händen, auf Kuhhaut stand dort geschrieben: »Ingo Eggert raus aus Wolfsburg«. Ingo Eggert legte sich schwitzend auf ein Krankenbett und schloss die Augen. Sein Leben lief vor seinen Augen ab wie ein schlechter Sat.1-Film: Geburt, Schule, Sex,
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