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Spektrum

Spektrum

Titel: Spektrum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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Schließer zahlten für das, was sie sich nahmen. Sie verlangten, allen, die es begehrten, freien Zugang zu den Stationen zu gewähren. Von Touristen trieben sie eine Gebühr in Form interessanter Geschichten ein. Und damit basta! Vom notwendigen Minimum abgesehen, gab es keine offiziellen Kontakte. Keinen Handel, bis auf kleine Wareneinkäufe und Tabak. Über ihre Geschenke diskutierten die Schließer nie – sie gaben, was sie für nötig erachteten. Über sich erzählten sie nichts. Diese Politik verfolgten sie auf allen Welten, auf die ihre Raumschiffe gelangten.
    Nein, auf die Schließer reagierte seit Langem niemand mehr. Mit ihnen hatte man sich abgefunden wie mit einer Naturerscheinung. Man hatte gelernt, die Unannehmlichkeiten zu ignorieren und die Vorteile zu genießen – zumal diese weit überwogen. Komplizierter verhielt es sich mit anderen Rassen. Man begegnete da Zivilisationen, die rückständiger, aber auch solchen, die fortschrittlicher als die irdische waren. Neugier und der Wunsch, fremde Welten kennenzulernen, eigneten freilich fast allen Außerirdischen. Und sie waren es denn auch, gegen die sich die Antipathie von Menschen gegenüber Fremdlingen entlud – bisweilen offen und gerechtfertigt, bisweilen auch verborgen und durch nichts motiviert.
    Mittlerweile war Martin allerdings zu der Überzeugung gelangt, Chauvinisten zögen es vor, auf der Erde oder in einer der wenigen Erdenkolonien zu leben. Eine Gruppe von Chauvinisten, die sich inmitten von Außerirdischen angesiedelt hatte, stellte eine seltsame, eine unlogische Erscheinung dar. Noch dazu, wenn es sich bei ihnen um gebildete Menschen handelte, die nach wissenschaftlichen Erkenntnissen strebten und die Rätsel der Welt lösen wollten! Auf Bibliothek hatten Abenteurer und Profitmacher nichts verloren, denn dieser Planet verkörperte das Paradies für Selbstlose, für Liebhaber des reinen, akademischen Wissens. Und war dergleichen überhaupt vorstellbar? Gelehrte Chauvinisten?! Gelehrte Fanatiker?! Gelehrte Xenophoben?! Doch was gab es nicht noch alles? Zum Beispiel das faszinierende Geheimnis der Zivilisation der Schließer. Ferner zahllose kleinere Geheimnisse, von denen Bibliothek nur eins war. Warum sie nicht alle gemeinsam untersuchen?
    Bei diesen Überlegungen leitete Martin wahrlich kein Idealismus, eine in seinem Beruf ohnehin seltene und unheilvolle Eigenschaft. Er hatte schon Faschisten mit wer weiß wie hoher Intelligenz kennenlernen dürfen, hatte einfache, ungebildete Menschen getroffen, die über unermessliche Geduld und Klarsicht geboten. Nein, dieses innerliche Gegrummel bot Martins Verstand vielmehr die Gelegenheit, sich zu entspannen, ließ seinen Geist Ruhe bewahren. Schließlich weiß man nicht erst seit gestern, dass jemand, der fremde Mängel scharf verurteilt, selbst anfällig dafür ist, während naive Verwunderung hilft, solche Laster zu meiden.
    Nach ein paar weiteren Stunden beschloss Martin, einiges auszuziehen. Er nahm den Rucksack ab, steckte das T-Shirt hinein, knöpfte die Beine von den derben Wanderhosen und verwandelte sie somit in Shorts. Die Schuhe behielt er an, da die geriffelten Sohlen ihm bei den Sprüngen guten Halt boten. Wenn Martin etwas nicht beabsichtigte, dann war es auszurutschen, sich den Kopf am nächsten Obelisken einzuschlagen und auf diese Weise die Zahl der spurlos Verschwundenen zu vergrößern. Er nutzte die Pause, um trockenen finnischen Hartkeks aus Roggenmehl, dazu harten, süßlich-faden Schweizer Emmentaler zu essen und etwas Wasser aus dem Kanal zu trinken. Dieses, wiewohl in der Tat salzig, schmeckte angenehm, fast wie gutes Mineralwasser. Die Obelisken ringsum irritierten ihn nun nicht mehr, ließen ihn nicht länger an einen Friedhof denken, sondern fügten sich nunmehr in das Landschaftsbild ein. In der Nähe spritzte ein dicker gelbbäuchiger Fisch durch den Kanal, der wohl etwas frische Luft schnappen oder auch nur den Fremdling beäugen wollte. Martin fuhr mit dem Finger die Kanalwand entlang und gabelte ein paar grünliche Algen auf. Als er sie probierte, schmeckten sie ihm nicht, waren ihm zu modrig und salzig, selbst wenn sie keinen Ekel in ihm hervorriefen. Wie er wusste, destillierte man hier auf dem Planeten aus Algen eine Art Alkohol, doch aus welcher Art genau, vermochte er nicht zu sagen. Möglicherweise wählte man dafür die braunen Schlingen, die am Kanalboden wuchsen, vielleicht aber auch die kleinen pelzigen Blätter, die durchs Wasser drifteten. So oder so

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