Spektrum
war. Das Informatorium zuckte, knickte ein, fiel im Handumdrehen auseinander und schmolz dahin wie ein Stück Butter in einer heißen Pfanne. Zwei, drei Sekunden später war ein kleiner Plastikhügel, aus dem die Sessellehne stak und das zu einer klumpigen Plastikmasse verschmolzene Display schräg herausragte, alles, was vom Informatorium noch übrig war. Als Martin sich selbst in diesem Sessel sitzend vorstellte, wurde ihm ganz flau.
Die Passanten reagierten auf den Zwischenfall in völlig adäquater Weise. Die meisten sahen zu, sich möglichst weit vom Ort des Geschehens zu entfernen, während einige Neugierige sich natürlich näherten. Martin schluckte den Kloß hinunter, der ihm im Hals steckte, und wich ebenfalls zurück.
»Verzeihen Sie, ich läge doch nicht falsch, wenn ich mich in Touristisch an Sie wende, oder?«, ließ sich hinter Martin eine Kinderstimme vernehmen. Ängstlich drehte er sich um – doch da stand wirklich ein Kind, ein Knirps von sieben oder acht Jahren. Mit seinem akkurat gekämmten Haar, der winzigen hellblauen Mütze auf dem Kopf und dem adretten kanariengelben Mantel, unter dem die Spitzen der langen roten Stiefel hervorlugten, sah er aus wie ein vorbildlich erzogenes Kind aus einer Zeitschrift für mustergültige Eltern. Kurz überlegte Martin, an wen dieses Kind stärker erinnerte, an den Knirpserich Nimmerklug oder an den Kleinen Muck, um sich dann für Muck zu entscheiden, wobei den Ausschlag die langen Wimpern, die mandelförmigen Augen und die dunkle Haut gaben – ganz zu schweigen von der Kleidung, der etwas Arabisches anhaftete.
»Ja, ich spreche Touristisch«, antwortete Martin.
Zufrieden nickte der Junge. »Das habe ich mir gedacht«, fuhr er fort. »Sie wirken wie ein Erdenbewohner, zumindest was die Kleidung und einige Details in Ihrem Auftreten angeht. Haben Sie im Informatorium eine Thermobombe hinterlassen?«
Martin schüttelte den Kopf.
»In dem Fall hat es einen Anschlag auf Sie gegeben. Gelt?«, behauptete der Junge. »Oder man wollte Sie einschüchtern. Haben Sie viele Feinde?«
Martin hielt es für angeraten, abermals den Kopf zu schütteln.
»Lassen Sie uns von hier weggehen«, schlug der Junge vor. »Die Polizei wird bald eintreffen und Ihnen Fragen stellen. Wollen Sie auf die etwa antworten?«
»Nein«, versicherte Martin unmissverständlich.
»Dann sollten wir gehen«, sagte der Junge und legte seine Hand in die Martins.
Von außen betrachtet, sah es so aus, als hielte Martin den Jungen bei der Hand. Eigentlich führte jedoch der Junge Martin. Flugs kreuzten sie die Gleitstraßen, schlüpften durch einen höchst dekorativen Triumphbogen hindurch, der zwischen den Häusern stand, kamen auf der Parallelstraße heraus und machten an einem Straßencafé Halt. Unter knallbunten Schirmen saßen ein paar Gäste an kleinen Tischen.
»Es ist mir in höchstem Maße peinlich«, sagte der Junge, »aber ich habe keine Kreditkarte. Ich kann Sie nicht einladen. Vielleicht sollten wir aber des ungeachtet hier einkehren?«
»Ich lade dich ein«, beschwichtigte ihn Martin, dem schon der Kopf schwirrte, und zwar sowohl aufgrund des zerschmolzenen Informatoriums wie auch ob des Auftauchens dieses über seine Jahre reifen Jungen.
»Nein, nein!« Der Junge schüttelte den Kopf. »Für Kinder ist das Essen kostenlos. Ist es bei Ihnen etwa nicht so?«
»Bei uns ist alles ganz anders«, gab Martin finster zu, während er sich an einen Tisch setzte, der in größtmöglicher Entfernung von den anderen Gästen stand. »Nur die Terroristen sind vielleicht genauso hinterrücks.«
Als der Junge einen Stuhl erkletterte, musste Martin mit Mühe den Wunsch unterdrücken, ihm zu helfen. Doch es ließ sich einfach nicht abschätzen, wie dieser kleine Kerl die Hilfe eines Erwachsenen aufnahm. Auf Martins Worte sprang er nämlich sofort an.
»O nein! Glauben Sie das ja nicht; das war ein beispielloser Zwischenfall! Deshalb habe ich ja auch beschlossen, Sie anzusprechen, da ich nun schon unfreiwilliger Zeuge des Ganzen war!«
Geräuschvoll atmete Martin aus. »Sind alle Kinder bei euch so klug, kleiner Mann?«, fragte er.
In den Augen des Jungen schien Trauer aufzuflackern. »Wo denken Sie hin … Ich gehöre zu den dreihundert klügsten Kindern des Planeten. Sicher, ich rangiere am unteren Ende der Liste. Verzeihen Sie, ich habe vergessen, mich vorzustellen. Ich bin Hatti. Das ist eine Kurzform meines Namens, das mindert etwas die Peinlichkeit. Gelt?«
»Ich heiße
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