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schwach ist die europäische Politik, sie zu beheben; zu desinteressiert sind die Völker am ganzen, großen Projekt.
Die vier großen Versprechen des Euro, formuliert im Vertrag von Maastricht, wurden alle gebrochen: die Staatsschulden nicht begrenzt, sondern verdoppelt, nur 5 der 17 Staaten liegen unter der 60-Prozent-Grenze; die Haushaltsdefizite nicht gedeckelt, nur vier Staaten liegen unter der Norm; das Bail-out-Verbot, gebrochen; die Europäische Zentralbank, nicht länger unabhängig, sondern Bad Bank für notleidende Staatsanleihen.
Es ist nicht einfach nur irgendein politisches Versagen, das folgenlos wäre wie irgendein gebrochenes Wahlversprechen. Es ist ein Versagen zweier Generationen von Staatsmännern (und -frauen), das Europa nun mit einem gefährlich labilen Geflecht der Staaten, ihrer Notenbanken, der Zentralbank, der Banken und Anleger überzogen hat.
Die Staaten der Euro-Zone sind mit acht Billionen Euro in der Kreide, Banken haben europäische Staatsanleihen im Nominalwert von einer Billion Euro in den Büchern. Die Notenbanken von Griechenland, Italien, Portugal und Spanien sind bei der Bundesbank mit 348 Milliarden verschuldet. Die Zentralbank hat für 150 Milliarden Euro Staatsanleihen aufgekauft, die Banken parken bis zu 150 Milliarden Euro lieber bei der EZB, als Kredite zu vergeben – aus Angst vor Kreditausfällen.
Die Summe aller Kreditausfallversicherungen für Griechenland ist unbekannt, auch welche Banken sie halten, was ihr Risiko unberechenbar macht. Große europäische Banken haben so viele Anleihen gefährdeter Staaten in den Büchern, dass sie nach Auffassung des IWF 200 Milliarden Euro zusätzliches Kapital brauchten, um sicher über die Runden zu kommen, die Rating-Agenturen reagieren darauf bereits mit Herabstufungen.
Dieses hochexplosive Geflecht aus gegenseitigen Abhängigkeiten macht den Euro in Krisenzeiten labil; angreifbar und richtig gefährlich wird er aber durch eine Besonderheit, die ihn unterscheidet vom Dollar, vom Yuan, von allen Währungen in der Welt: Der Euro ist ein Haus ohne Hüter, eine Währung ohne politischen Schutz, ohne einheitliche Finanzpolitik, ohne die Möglichkeit, sich entschlossen gegen spekulative Angriffe zur Wehr setzen zu können.
Damit eine Währungsunion funktioniert, dürfen die Volkswirtschaften der Mitgliedsländer nicht zu weit auseinanderdriften, da der übliche Ausgleichsmechanismus, der Wechselkurs, fehlt. Normalerweise wertet ein Land, dessen Wirtschaft schwächelt, seine Währung ab. Das macht seine Waren auf dem Weltmarkt billiger, es kann mehr exportieren und seine Defizite abbauen. In einer Währungsunion aber geht das nicht. Wenn ein Land nicht solide wirtschaftet, wirkt die Einheitswährung wie eine Fessel.
Wäre Griechenland das Bundesland eines Vereinigten Europa mit einer gemeinsamen Fiskal- und Wirtschaftspolitik, dann wäre es so geschützt wie das ähnlich hoch verschuldete Bundesland Bremen durch die Bundesrepublik. Weil es aber eine gemeinsame europäische Finanzpolitik nicht gibt, wird Griechenland als schwächstes Land der Union – obwohl es nicht einmal drei Prozent zur Wirtschaftsleistung der Euro-Staaten beiträgt – zur systemrelevanten Bedrohung für 16 Staaten und 320 Millionen Europäer. Und der Euro, gedacht als Schutz gegen die Unwägbarkeiten der Globalisierung, wird damit zur gefährlichsten Währung der Welt.
[IV. AKT]
Die Zukunft des Euro
(2011 bis ?)
Warum der Europa-Schöpfer Jacques Delors weiterhin an den Euro glaubt. Warum der Forscher Kenneth Rogoff sein Schreckensszenario für realistisch hält. Warum der Schuldenhändler Mohammed El-Erian sagt, dass keine Wette auf den Niedergang des Euro eingeht.
Was Europa nun blüht, in den nächsten Wochen und Monaten, hat mit Griechenland zu tun, hat sich aber auch längst von dem Athener Drama abgelöst. Es ist die Fortsetzung der Finanztragödie, die 2007 in New York ihren Anfang nahm. Was dort begann, sagt Weltökonom Rogoff, war keine normale, nur etwas stärkere Rezession, sondern eine "große Kontraktion", wie sie sich in der Wirtschaftsgeschichte nur alle 75 Jahre ereignet. Dieser Umstand aber, sagt Rogoff, sei bis heute nicht erkannt. Und deshalb geht Europas Krise, die als Vertrauenskrise begann, zur Schulden- und Liquiditätskrise wurde und endlich in multiple Solvenzkrisen mündete, nicht zu Ende.
"Die augenblickliche Politik tut so, als sei eine Liquiditätskrise zu meistern", sagt Rogoff, "als ginge es darum, nur ausreichend
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