Spiel des Schicksals
hinweg schon in viele Augen geschaut. Aber nie zuvor hatte ich Augen wie diese hier gesehen. Oder vielmehr das Rätsel dahinter.
Plötzlich, als hätte er meine Unruhe gespürt, stand er auf. »Asmahan wird bald zurück sein, und wir werden dann essen.« Er tat ein paar Schritte von mir weg, hielt plötzlich inne und starrte vor sich. Als sich seine Stirn in Falten legte, folgte ich der Richtung seines Blicks und sah, daß ihm die aufgeschlagene Zeitung auf dem Tisch ins Auge gefallen war. Die Titelseite mit dem Foto! Wortlos ging er zu dem Tisch, nahm die Zeitung an sich, faltete sie zusammen und verschwand damit in der Küche. Kurz darauf erschien er wieder ohne die Zeitung, aber mit besorgtem Gesicht. »Es tut mir leid, daß Sie das gesehen haben, Miss Harris. Ich bedaure, daß ich so unachtsam gewesen bin.«
»Ist schon gut«, murmelte ich und stellte mir gleichzeitig die Frage, ob es wohl tatsächlich Zufall gewesen war. Einen Augenblick später und keine Sekunde zu früh kam Asmahan mit der vollen Papiertragetasche in beiden Armen durch die Eingangstür. Sie legte sofort in schnellem Arabisch los, redete auf dem ganzen Weg in die Küche, während Mr. Raschid ihr folgte, und plauderte munter weiter, als sie die Lebensmittel auspackte. Wie ich den beiden so zuhörte und die behagliche Vertrautheit zwischen ihnen erkannte, ertappte ich mich dabei, daß ich darüber nachgrübelte, wie lange sie sich wohl schon kannten und wann sie zu heiraten beabsichtigten. Jedoch schob ich solche müßigen Gedanken rasch beiseite, als Achmed Raschid mit einer Schale Orangen in den Händen ins Wohnzimmer zurückkam. »Asmahan wird ein besonderes Gericht für Sie zubereiten. Es macht ihr großes Vergnügen, Sie zu bekochen, denn sie nimmt an, daß Sie nie zuvor ägyptisches Essen gekostet haben.«
»Das stimmt.«
Er nahm mir gegenüber Platz, lächelte verständnisvoll und meinte: »Sie werden einen Festschmaus erleben.«
Er setzte sich in seinem Lehnstuhl bequem zurecht und machte sich daran, eine Orange zu schälen, während ich mich, noch immer auf der Kante der Couch sitzend, fragte, was jetzt wohl von mir erwartet wurde. Als ich mich erheben wollte, bedeutete mir Mr. Raschid sitzenzubleiben. »Sie sind unser Gast. Sie dürfen nicht in die Küche gehen.«
»Ich sollte doch helfen…«
Aber er lachte nur. »Asmahan wäre gekränkt. Bitte bleiben Sie.« So lehnte ich mich gemütlich auf der Couch zurück und zwang mich dazu, mich ein wenig zu entspannen. Mein Geist wanderte ziellos umher, während ich mit ausdruckslosem Blick auf Achmed Raschids braune Hände starrte, wie er die Orange schälte. Ich dachte an Rom, wo ich wenige Tage zuvor gewesen war und das mir jetzt so weit weg zu sein schien. Und ich dachte an Dr. Kellerman. »Können wir hinausgehen, damit ich meinen Anruf erledigen kann?« fragte ich plötzlich.
Achmed Raschid schaute mich überrascht an und schien mein Ansinnen einer sorgfältigen Prüfung zu unterziehen. Nachdem er eine Weile nachgedacht hatte, meinte er: »Vielleicht ist es nicht klug, Miss Harris. Es bedeutet, die Wohnung zu verlassen, auf eine Straße hinauszugehen und sich eine Zeitlang in der Öffentlichkeit aufzuhalten.«
»Aber Sie haben doch behauptet, ich sei sicher hier?«
»Ja, hier.« Er legte die halb gegessene Orange auf den Tisch und neigte sich mit besorgtem Blick zu mir hin. »Und in dieser Straße sind Sie es wahrscheinlich auch noch. Aber die Telefonzentrale ist ein kleines Stück entfernt. Arnold Rossiters Leute könnten sich in der Nähe aufhalten. Und wäre es nicht möglich, daß sie in den Telefonzentralen nach Ihnen Ausschau halten? Könnten sie nicht vermuten, daß Sie versuchen würden, jemanden anzurufen? Ich halte es für zu riskant.«
Der vertraute Zwiespalt, der mir allmählich zur Gewohnheit wurde – der Versuch, mit logischer Argumentation gegen meine gefühlsmäßigen Wünsche anzukämpfen –, kam wieder in mir auf. Ich wußte, daß er recht hatte, aber ich wollte den Anruf tätigen. »Um Himmels willen, wie viele Telefonzentralen gibt es in Kairo? Rossiter hat doch bestimmt nicht hundert Leute, die für ihn arbeiten!« Raschid sah mich nachdenklich an.
»Ich würde nicht lange brauchen, um den Anruf zu erledigen. Die Wahrscheinlichkeit, daß mich einer von ihnen unter all diesen Menschen draußen entdeckt, ist praktisch Null.« Noch immer derselbe unveränderte Blick.
»Was bin ich eigentlich, Mr. Raschid, Ihr Gast oder Ihre Gefangene?«
Er schien sich
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