Spiel mir das Lied vom Glück
zurück zu dir selbst finden, Katie!«, mahnte Lydia, aber ich merkte, dass ihre Stimme weicher geworden war. »Du musst Entscheidungen treffen.«
»Ich habe die Entscheidung getroffen, in diesem Haus auf dem Boden zu sitzen und eine Menge Wein zu trinken. Eine super Entscheidung.« Katie legte sich rückwärts hin und kicherte, balancierte einen Spiegel auf ihrer Brust. »Ich muss mich nicht um meine Kinder kümmern. Ich mache im Moment keine Hausarbeit, weder bei mir noch bei anderen. Ich muss mich nicht mit Mrs.Nunley abgeben, die mir heute gesagt hat, ich würde die Fugen nicht richtig sauber machen.«
»Du machst die Fugen nicht richtig sauber?!« Lara unterbrach sich bei ihrer Stimmenimitation. »Horror! Dafür wanderst du mit Sicherheit in die Hölle! Ich werde für dich beten.«
»Das wäre lieb, Lara«, sagte Katie. »Bete bitte auch dafür, dass ich Mrs.Nunleys Gesicht nicht mit Essigreiniger bearbeite.«
»Wie viele Häuser hast du diese Woche geputzt?«, fragte Tante Lydia.
»Fünfzehn bisher. Fünfzehn Häuser in Golden sind strahlend sauber durch meinen Staubsauger und mein Staubtuch. Seht ihr?«, verkündete sie, setzte sich wieder auf, leicht schwankend. »Ich bin, was ich immer sein wollte! Eine Geschäftsfrau! Hahaha! Katies Putzfirma.«
Aber das Lachen klang schwach und müde.
Ich merkte, dass irgendetwas mit Katie nicht stimmte und
dass die anderen Frauen es auch wussten, denn sie schauten sie sonderbar an, ohne etwas zu sagen.
»Mrs.Nunley hat gesagt, sie würde mich nicht an ihre Freundinnen weiterempfehlen, wenn ich ihre Fugen nicht weiß bekomme. ›So weiß wie meine Zähne‹, hat sie gesagt. ›So weiß wie meine Zähne‹. Dann hat sie mit ihren gichtigen Fingern die Lippen zurückgezogen und mir ihre Zähne gezeigt, sie hat die Zunge ausgestreckt, sodass ich ihr bis hinten in den Hals gucken konnte.«
Katie begann zu lachen. Ich bemerkte einen Anflug von Hysterie. »Die waren gar nicht weiß! Sie hatte zig Füllungen drin, und ihre Schneidezähne waren gelb. Und da steht sie vor mir, mit diesem kranken Grinsen im Gesicht, zieht die Lippen bis zu den Ohren und sagt mir, ich solle ihre Fugen so weiß machen wie ihre Zähne. Na, wenigstens habe ich so einen wun-der-ba-ren Mann, der mich voll und ganz unterstützt.«
Mir entging nicht der Blick, den Caroline, Lydia und Lara sich zuwarfen.
»Bringt mir ’nen Eimer«, rief Lara. »Mir wird übel!«
Katies Lachen erfüllte das Zimmer. Doch keine der anderen Frauen schien es auch nur im Geringsten komisch zu finden.
Das Licht war immer noch heruntergedreht, und die Kerzen brannten, aber der Psycho-Abend über die Macht der Brüste war ein wenig auseinandergebrochen. Lara war auf der Couch eingeschlafen, nachdem sie erklärt hätte, sie könne hören, wie die Stadt New York sie über Aliens rufen würde. Lydia hatte einen Pulli übergezogen und bestickte ein Kissen mit dem Satz: »Sex ist gut für die Haut, Männer nicht.«
Katie saß in einem Schaukelstuhl am Fenster, hatte eine Decke um sich geschlungen und starrte nach draußen. Sie bewegte sich nicht, las nicht, schaute einfach nur in die Dunkelheit.
Caroline und ich kauerten auf dem Boden. Wir hatten unsere BHs und Oberteile wieder angezogen.
Meine Brüste hatten mir lediglich gesagt, ich sei dick, hätte keine Arbeit, so gut wie kein Geld, dafür aber eine Angstkrankheit und einen verrückten Ex-Verlobten, vor dem ich auf der Flucht war.
Caroline, die Hellseherin, fragte nicht, ob sie mir aus der Hand lesen solle. Sie fragte mich nicht nach meiner Lieblingszahl. Sie hatte keine schicken Teetassen oder Tarotkarten, es gab nur eine flackernde Kerze zwischen uns und im Hintergrund Lydias leises Summen. Ich glaube, es war ein Lied aus dem Süden, das die Sklaven früher auf den Feldern sangen. Ein Lied mit einer beschwingten Melodie, aber so tragischem, hoffnungslosem Text, dass man am liebsten losgeheult hätte.
Caroline sah mich an. »Zeig mir mal deine Knie!«
»Meine Knie?«
Sie nickte.
»Na, gut. Du bist schließlich die Hellseherin. Wenn du auch von Knien lesen kannst, umso besser.« Ich zog meinen Rock hoch. Auf meinen Knien waren verschiedene Narben, die aus meiner Kindheit stammten.
»Woher ist diese Narbe?«, fragte Caroline und wies auf die kleinste, die wie ein Halbmond aussah.
»Da wurde ich von einem Auto angefahren.«
»Hm«, machte Caroline, und ihr glänzendes braunes Haar umgab ihren Kopf wie ein Schleier.
Ich fand, aus ihrem »Hm« sprach
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