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Spiel mir das Lied vom Glück

Spiel mir das Lied vom Glück

Titel: Spiel mir das Lied vom Glück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cathy Lamb
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diese Frauen hatten ihre Geheimnisse und waren es gewohnt, Spuren von Misshandlungen zu ignorieren.
    Zwei Tage vor der Hochzeit kam er abends zu mir in die Wohnung. Er war nicht zufrieden mit meiner Begrüßung und wurde noch wütender, als ich mich beschwerte, seine Mutter hätte die Regie über die gesamte Hochzeit übernommen. Also schlug die Faust wieder zu.
    An unserem Hochzeitstag rief er nicht an, ließ mich im Stich, überzeugt davon, dass ich niemals die Eheschließung mit einem reichen, begehrten Junggesellen ausschlagen würde.
    »Ich höre Schreie, Julia«, sagte Caroline mit tiefer, trauriger Stimme. »Das bist du, oder?«
    Ich nickte.
    »Er kommt, Julia, er kommt hierher. Nach Golden.«

6
    In den nächsten Wochen entwickelten Tante Lydia und ich ein System. Wir standen auf, noch bevor es dämmerte, gingen raus zu den Hühnern, Schweinen, Pferden und Schafen, während uns Tante Lydias acht Katzen um die Beine strichen. Katze 1 , Katze 2 , Katze 3 , Katze 4 , Katze 5 , Katze 6 , Katze 7 und Katze 8 waren die liebsten Tiere, die ich kannte. Unablässig miauten sie, und kaum setzte ich mich hin, sprangen sie mir auf den Schoß, kuschelten sich an mich, manchmal drei zugleich. Sie miauten so lange, bis ich sie streichelte. Dann schliefen sie zufrieden schnurrend ein.
    Vorher war ich kein großer Katzenfreund gewesen, doch ich hatte mich um 180 Grad gedreht.
    Natürlich waren die Hühner nicht unbedingt begeistert von den Katzen. Sie gluckten aufgeregt, wenn die Katzen sich ihren heiligen Hallen näherten. Dabei hatten die Samtpfoten eher Angst vor den Hühnern und huschten davon, wenn ein Huhn heranspaziert kam. Schisshasen, diese Katzen.
    Lydia und ich sammelten die Eier ein und versorgten die Tiere. Der Morgen war kühl und frisch, aber ich wusste, dass es im Laufe des Tages deutlich wärmer werden würde. Ich liebte den Morgen auf dem Bauernhof: Das Land erwachte. Die Sonne stieg auf. Die Bäume winkten sich Morgengrüße zu. Selbst Melissa Lynn und die Ferkel wühlten nur vorsichtig im Dreck, als würden sie die Ruhe des Morgens stören, wenn sie zu viel Lärm machten.
    Dieses Leben war das komplette Gegenbild zu den Städten,
in denen ich gewohnt hatte. Tief atmete ich ein. Ich war immer noch matt, aber das Gefühl war nicht mehr so stark, so absolut wie zuvor. Der Schlaf half mir. Die Ruhe half. Die Bergluft half.
    »Schön, dich zu sehen, junge Frau. Wie geht es deiner Weiblichkeit heute?«, fragte Tante Lydia, wenn sie mit mir über Frauenthemen sprechen wollte. Am Morgen erfuhr ich immer das Stichwort für das Gesprächsthema des Tages.
    Beim Eiersammeln bekam ich Informationen über alle möglichen Frauenfragen, von denen Tante Lydia in der
New York Times
, in der Zeitschrift der
American Medical Association
, in der
Forbes
, im
Science Digest
und einer obskuren Auswahl anderer Blätter gelesen hatte. Oder sie hielt mir einen Vortrag über die heilenden Kräfte von Sticken, Stricken, Malen und Kranzbinden.
    Besonders gerne zitierte sie ein monatliches Rundschreiben von Hippiefreundinnen, in dem Ratschläge erteilt wurden, wie man beispielsweise einen Pilz unterm Zehnagel los wurde, wie man seinen inneren Teufel besiegte, für Geister kochte oder wie man seine Akne heilte, indem man nackt Rad schlug.
    Das heutige Thema war Angst.
    »Angst erstickt das Frausein in dir, Julia«, verkündete sie und streichelte den Kopf eines Huhns.
    Dagegen konnte ich nichts einwenden. Die Angst bestimmte mein Leben schon lange. Auf dem Land zu sein, umgeben von Ruhe und Geborgenheit, vergegenwärtigte mir, dass für so gut wie jede Handlung in meinem Leben Angst der Auslöser gewesen war. Und für jeden Fehler.
    »Angst zermalmt deine Instinkte und lässt dich nicht an die Weisheit glauben, die in dir wohnt. Dein Bauch, deine Gebärmutter kennen die Wahrheit. Die Gebärmutter übermittelt sie dem Kopf. Aber Angst unterbricht diese Vermittlung.«
    Lydia schaute unter eine zerkratzte rosa Kommode und fand ein ganzes Gelege von Eiern. »Angst zerstört deine Fähigkeit,
deinem Leben eine Richtung zu geben. Angst bohrt sich in dein Hirn wie die Tentakel eines Kraken und dringt in alle Gehirnzellen.«
    Ich schob die Hand unter mehrere Hühner. Keines von ihnen pickte mich. »Danke Hilde, Geranie und Darth Vader«, flüsterte ich. Ich hatte mir angewöhnt, den Hühnern Namen zu geben, genau wie Tante Lydia.
    »Angst erstickt deine kreative Energie und macht deine Gelüste zu Geschwüren.«
    Bei den nächsten drei Ladys

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