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Spiel mir das Lied vom Glück

Spiel mir das Lied vom Glück

Titel: Spiel mir das Lied vom Glück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cathy Lamb
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Kuss zu geben. Ich musste an all die anderen Mütter und Töchter denken, die sich in meiner Gegenwart küssten und umarmten. Nicht mal ansatzweise kann ich in Worte fassen, wie sehr ich mich danach sehnte. Nach so einfachen Dingen wie einer Umarmung und einem Kuss.
    Wir plauderten eine Weile über ihren derzeitigen Freund, und sie mäkelte, ich hätte offenbar ja immer noch nicht abgenommen. Kein Wunder, dass kein Mann etwas mit so einem Kloß wie mir zu tun haben wollte. Ich sollte mir mal Gedanken darüber machen, so jung wäre ich ja auch nicht mehr.
    Ich war kurz davor, ihr das Geld zu geben. Ich hatte einen Kloß im Magen, als hätte sie mich mit ihren kniehohen Stiefeln getreten. Doch da stieg mir der vertraute Geruch in die Nase: Wodka. Pur.
    Der Geruch von Wodka, Whiskey, Bier und Zigaretten hatte meine gesamte Kindheit umwabert. Er ließ mich innehalten. Dann sprach ich das aus, was ich immer schon hatte wissen wollen: »Warum hast du mich nicht bei Tante Lydia leben lassen, Mama? Warum hast du mich behalten?« Wie schwarzer Leim klebte das Leid an jedem meiner Worte.
    Sie begutachtete meine Sammlung von Kochbüchern und machte auf dem Absatz kehrt. Mit einem hässlichen Gesichtsausdruck
sagte sie: »Weil ich deiner Tante Lydia niemals irgendwas geben würde. Nichts. Nicht mal ein Nichts, für das ich im Laufe der Jahre jede Menge Geld hingeblättert habe.«
    Aus irgendeinem Grund wurde ich zum ersten Mal kühn im Gespräch mit meiner Mutter. Vielleicht weil ich sie so lange nicht gesehen hatte. Oder weil ich wusste, das ich sie lange Zeit nicht wiedersehen würde. Oder weil ich endlich den Mut aufbrachte, diese Fragen zu stellen: »Was meinst du damit: Geld hingeblättert? Ich habe kaum was zu essen bekommen, die Frauen aus der Gemeinde haben mir Anziehsachen gegeben –«
    »Halt den Mund, Julia! Du bist schon immer frech und undankbar gewesen. Immer schon. Schon als kleines Kind. Jetzt bin ich zur Abwechslung mal diejenige, die was braucht. Gib mir das Geld!«
    Wie ein störrisches Kind versteckte ich das Portemonnaie hinter meinem Rücken. »Nein.«
    »Was soll das heißen? Jetzt hast du mal die Chance, die ganzen beschissenen Jahre gutzumachen, als ich mich mit dir rumgeschlagen habe, als du dich an meine Freunde rangemacht hast –«
    Ich hatte mich an ihre Freunde herangemacht?
    Mir war, als hätte mir jemand das Herz durchbohrt.
    »Nein. Nein. Nein!« Ich schrie immer lauter, bis ich hysterisch kreischte. »Nein!« Ich hielt mir die Ohren zu, wie ich es schon als Kind getan hatte. »Ich habe deine ekligen Freunde nicht angemacht! Niemals! Du hast zugelassen, dass sie mich antatschten, du! Du hast gewusst, was sie nachts mit mir anstellten, aber du hast sie nicht davon abgehalten!« Ich nahm die Hände von den Ohren. Ein peinigendes Bild nach dem anderen erschien vor meinem inneren Auge. »Du hast sie nicht aufgehalten!«, schrie ich.
    »Jetzt mal langsam! Das wusste ich doch nicht, Julia! Woher hätte ich das wissen sollen?« Sie verschränkte die Arme vor der
Brust. Im tiefen V-Ausschnitt ihres schwarzen Pullis erschien ein schwarzer BH .
    »Hast du wohl! Du lügst. Du lügst!« Meine Stimme stieg noch um eine Oktave. Ich spürte, wie ich auf den völligen Zusammenbruch zutrieb. »Dass du lügst, macht es noch schlimmer für mich. Meine Mutter gibt nicht mal zu, dass sie wusste, wie ihre Freunde sich über ihre Tochter hermachten.«
    »Es hat sich keiner über dich hergemacht«, gab sie zurück. Dann stieß sie einen langen, erschöpften Seufzer aus. Mein Gott, war dieses Gespräch langweilig für sie. So was von öde. »Du hast doch mit den Kerlen geflirtet. Mit deinem jungen Körper und den dicken Titten. Das waren Männer, Julia, was hast du denn von denen erwartet?«
    »O Gott«, sagte ich und barg den Kopf in den Händen. Er fühlte sich an, als würde er gleich platzen. »Ich war noch ein Kind, Mama. Ein Kind. Und nicht mal jetzt kannst du zugeben, was damals passiert ist. Du hast meine Kindheit kaputtgemacht. Du hast einen furchtbaren Albtraum daraus gemacht. Du hast mich kaputtgemacht. Und alles, was ich mit Tante Lydia hätte haben können.« Ich wandte mich ab und lehnte mich haltsuchend gegen die Wand, damit meine Beine nicht nachgaben. »Hau ab! Sieh zu, dass du rauskommst!«
    Jetzt hatte ich sie getroffen. Leicht schwankend stemmte sie die Hände in die Hüften. Der Alkohol beeinträchtigte ihr Gleichgewichtsgefühl. »So redest du nicht mit mir, du kleines Stück –«
    »Verpiss

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