Spiel mit dem Mörder
»gibt es keine sichtbaren Spuren von Gewaltanwendung, außer den Abschürfungen, die das Seil verursacht hat. Es gibt keine Spuren eines Kampfes. Unter den Nägeln des Toten fanden sich mikroskopisch kleine Fasern des Seils, an dem er gehangen hat, was darauf schließen lässt, dass es von ihm selbst befestigt worden ist. So, wie es aussieht, hat er sich freiwillig erhängt.«
»Sie meinen, es war Selbstmord?«, fragte Eve mit ungläubiger Stimme. »Einfach so? Wo ist der toxikologische Bericht, wo sind die Ergebnisse des Bluttests?«
»Ich - darauf wollte ich noch zu sprechen kommen, Lieutenant. Es fanden sich Spuren von Ageloxit und …«
»Drücken Sie es bitte etwas einfacher aus, Herbert«, bat Morse seinen Schüler milde. »Sie ist keine Wissenschaftlerin, sondern Polizistin.«
»Oh, ja, Sir. Tut mir Leid. Also, im Blut des Toten wurden Spuren eines Beruhigungsmittels und eine kleine Menge selbstgebrannten Schnapses festgestellt. Diese Mischung wird sehr häufig von Selbstmördern genommen, denn sie nimmt ihnen die Angst.«
»Verdammt, dieser Typ hat sich nicht selber umgebracht.«
»Ja, Madam, das sehe ich genauso.«
Finesteins leise Zustimmung beendete Eves wütende Tirade, bevor sie richtig angefangen hatte, und sie fragte ihn verblüfft: »Sie sehen das genauso?«
»Ja. Zum Frühstück hatte das Opfer Weizenwaffeln, Eier und ungefähr drei Tassen Kaffee genossen, und zirka eine Stunde vor Eintreten des Todes hat er noch eine große Brezel mit jeder Menge Senf verspeist.«
»Na und?«
»Hätte er gewusst, dass ein Cocktail aus einem Beruhigungsmittel und ein wenig Alkohol ihn beruhigen würde, dann wäre ihm ebenso klar gewesen, dass Kaffee die Wirkung dieser Mischung nicht nur aufheben, sondern sogar das Gegenteil bewirken kann. Dies und die Tatsache, dass er eine große Menge des Beruhigungsmittels mit einer nur sehr geringen Menge Alkohol zu sich genommen hat, lassen mich daran zweifeln, dass es tatsächlich Selbstmord war.«
»Dann lautet Ihre Diagnose also Mord.«
»Das kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen.« Als Eve ihn mit ihren Blicken zu durchbohren drohte, schluckte er nervös. »Solange ich keine zusätzlichen Beweise habe, kann ich höchstens so weit gehen zu erklären, dass es an der Theorie vom Selbstmord begründete Zweifel gibt.«
»Genau. Gut gemacht, Herbert.« Morse nickte zufrieden. »Lieutenant Dallas wird Ihnen weitere Einzelheiten nennen, sobald sie welche findet.«
Erleichtert flüchtete Finestein aus dem Raum.
»Das war ja wohl nichts«, beschwerte sich Eve.
»Ganz im Gegenteil. Das war sogar sehr viel. Herbert schließt die Möglichkeit, dass es ein Mord war, nicht zur Gänze aus. Die meisten Pathologen hätten eindeutig Selbstmord diagnostiziert. Er hingegen ist vorsichtig und gründlich und bedenkt nicht nur die nüchternen Fakten, sondern überlegt darüber hinaus, wie der Tote möglicherweise an die Sache herangegangen ist. Aus medizinischer Sicht sind Zweifel an der Theorie vom Selbstmord das Beste, was Sie kriegen.«
»Zweifel«, murmelte Eve, als sie hinter das Lenkrad ihres Wagens glitt.
»Tja, zumindest schließen sie einen Mord nicht völlig aus.« Peabody hob den Kopf von ihrem Handcomputer und fragte, als Eve sie aus zusammengekniffenen Augen böse ansah: »Was? Was habe ich denn gesagt?«
»Der Nächste, der versucht, mir zu erklären, dass ich mich darüber freuen soll, fliegt achtkant aus dem Fenster.« Sie ließ den Motor an. »Peabody, trete ich den Leuten gerne in den Hintern?«
»Wollen Sie gerne meine Narben sehen oder stellen Sie mir mit dieser Frage eine Falle?«
»Ach, halten Sie die Klappe, Peabody«, schlug Eve rüde vor und fuhr in Richtung des Reviers.
»Quim hatte hundert Dollar auf das Baseballspiel heute Abend gesetzt«, erklärte Peabody mit einem schmalen, jedoch selbstzufriedenen Lächeln. »Das hat mir McNab soeben mitgeteilt. Mehr als hundert hat er nie gesetzt. Seltsam, dass er ein paar Stunden, bevor er sich erhängt, noch eine Wette abschließt und dann nicht mal mit dem Selbstmord wartet, um zu sehen, ob er womöglich etwas gewonnen hat. Ich habe den Namen und die Adresse seiner Buchmacherin. Ups, ich sollte ja die Klappe halten. Tut mir Leid, Madam.«
»Haben Sie Spaß an ein paar zusätzlichen Narben?«
»Eigentlich nicht. Jetzt, wo ich endlich ein Sexualleben genieße, wäre mir das peinlich. Maylou Jorgensen. West Village.«
Peabody liebte das West Village. Sie liebte die Mischung aus unkonventionellem Schick und
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