Spielen: Roman (German Edition)
energiegeladen.
»Ihr hört Musik«, sagte er. »Gefällt mir. Wie heißt die Gruppe?«
»Boomtown Rats«, antwortete Yngve
»Boomstadt-Ratten«, meinte Vater. »Wisst ihr noch, wie ihr gelacht habt, als ich euch erzählt habe, dass Crystal Palace Kristallpalast bedeutet? Ihr wolltet es mir nicht glauben!«
Er lächelte und trat ins Zimmer.
»Gefällt dir die Musik auch, Karl Ove?«, fragte er.
Ich nickte.
»Komm, wir tanzen«, sagte er.
»Ich bin krank, Papa. Ich glaube, ich habe Fieber. Ich kann nicht.«
»Doch«, entgegnete Vater und nahm meine Hände, zog mich auf die Beine und begann, mich im Kreis zu drehen.
»Hör auf, Papa!«, rief ich. »Ich bin krank! Ich kann nicht!«
Aber er machte einfach weiter, schwang mich immer schneller, immer wüster im Kreis. Es war unerträglich, ich war kurz davor, mich zu übergeben.
»STOPP PAPA!«, schrie ich schließlich. »HÖR AUF!«
Er hörte ebenso jäh auf, wie er angefangen hatte, warf mich aufs Bett und ging hinaus.
Jeden Freitag kam Mutter nach Hause, und dann blieb ich immer in der Nähe, damit ich ihr als Erster von uns nahe sein konnte, denn wenn ich als Erster bei ihr war, konnte Vater mich nicht einfach in mein Zimmer schicken, wie er es häufiger tat, wenn sie zusammensaßen und sich unterhielten. Wenn sie am Sonntagabend oder Montagmorgen wieder fuhr, war Vater uns irgendwie nähergekommen, jedenfalls mir, denn dann wurde ich von Neuem in die Küche gerufen, um ihm zu erzählen, was alles passiert war, während er das Essen zubereitete. Wir aßen schweigend, und nachdem er gespült hatte, verschwand er ausnahmslos in seinem Arbeitszimmer. Manchmal kam er hoch, um mit uns fernzusehen, aber meistens blieb er bis zum Abendessen unten, so dass es mir beinahe so vorkam, als wären Yngve und ich alleine zu Hause. Nicht, dass ich meine Zeit anders verbracht hätte, wenn er da gewesen wäre. Die meiste Zeit lag ich auf meinem Bett und las. Als Mutter uns nicht mehr regelmäßig zur Stadtbücherei fuhr und ich alle Bücher in der Schulbibliothek gelesen hatte, n ahm ich mir die Bücherregale meiner Eltern vor. Ich las Agatha Christie, und ich las Stendhal, Rot und Schwarz , ich las ein Buch mit französischen Novellen, ich las ein Buch von Jon Michelet und eine Biografie über Tolstoi. Ich begann, selbst ein Buch zu schreiben, das von einem Segelschiff handeln sollte, aber als ich die ersten zehn Seiten zu Papier gebracht hatte, die größtenteils aus einer Aufzählung aller Personen bestanden, die an Bord waren, von der Art des Proviants, den sie besaßen, und von der Fracht, die sie geladen hatten, sagte Yngve, heutzutage schreibe kein Mensch mehr Bücher über Segelschiffe, und ich hörte auf. Ich stellte in jenem Herbst auch eine Zeitung in drei Exemplaren zusammen, die ich in drei Briefkästen legte, eine für Karlsen, eine für Gustavsen und eine für Prestbakmo, aber ich hörte nie etwas von ihnen, so dass ich das Gefühl hatte, als wären sie einfach verschwunden und hätten niemals existiert.
Ich lebte ein Leben im Haus und ein anderes draußen, so war es immer schon gewesen, und so war es mit Sicherheit für alle; am Samstagabend vor dem Fernseher, umgeben von ihren Eltern und Geschwistern, waren sie bestimmt ganz anders, viel sanfter und gehorsamer als draußen, wenn ich sie im Wald sah, wo die Freiheit absolut war und einen nichts daran hinderte, noch den kleinsten Eingebungen zu folgen. Besonders groß war der Unterschied im Herbst. Im Frühjahr und Sommer spielte sich ein sehr großer Teil des Lebens im Freien ab, und es gab einen ganz anderen Kontakt zwischen dem Leben der Kinder und dem der Erwachsenen, aber wenn der Herbst mit seiner Dunkelheit kam, war es, als würden die Verbindungen gekappt, und sobald sich die Haustür hinter uns schloss, glitten wir in unsere eigene Welt. Die kurzen, dunklen und kalten Abende waren aufgeladen mit all der Spannung, die im Unsichtbaren und Verborgenen lag. Der Herbst war Dunkelheit, Erde, Wasser, Hohlräume. Er war Atem, Lachen, Licht von Taschenlampen, Fichtenzweighütten, Lagerfeuer, die Horde der Kinder, die mal hierhin, mal dorthin zog. Nicht zu vergessen die Zimmer hinterher. Ob wohl ich nie die Erlaubnis erhielt, jemanden zu mir nach Hause einzuladen, und keines der anderen Kinder in unserer Siedlung jemals in meinem Zimmer gewesen war, wurde mir doch immer erlaubt, die anderen in ihre Zimmer zu begleiten. Bei manchen war ich nur selten, bei anderen oft. In jenem Herbst trafen wir uns vor allem
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