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Spieltrieb: Roman

Spieltrieb: Roman

Titel: Spieltrieb: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Zeh
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jene Kraft, die sich unbedingt in Ada entladen wollte. Die Geräusche vom Flur, Schritte, Kindergelächter, gelegentlich eine sonore Lehrerstimme, die einen Namen und ein Gesicht im Schlepptau hinter sich herzog, kollidierten mit der aufsteigenden Elektrizität, die, erzeugt vom Druck eines schweren Mädchenhinterns gegen seine Hüften, das Hirn erreichen wollte und immer wieder zurückgedrängt wurde vom Anbranden der Außenwelt an die Tür der Kartenkammer. Mit den nächsten Stößen erklomm Smutek ein weiteres Stockwerk, schließlich noch eins, das er nie zuvor betreten hatte, dann, als er Teuters Stimme auf dem Gang zu erkennen glaubte, erreichte er zwei, drei, vier Etagen, von denen er nicht einmal gewusst hatte, dass sie existierten. Adas gebeugter Rücken. Ihr wippendes, blondes Haar. Sie war stumm wie ein Fisch, kalt wie ein Fisch. Er umfasste sie mit beiden Armen, drückte sie an sich in großer, freundschaftlicher Umarmung, während es bereits dunkel wurde in seinem Kopf in Vorbereitung auf den alles vertilgenden Blitz. Ada, lass uns weggehen von hier, ohne Alev, lass uns weggehen und etwas ganz anderes anfangen, es ist nicht schwer. Smutek konnte nicht mehr flüstern und begann tonlos zu wimmern. Als es passierte, war es kein rauschender Höhepunkt, sondern ein langsames, schmerzhaftes Verkümmern, ein Krampf ohne Erlösung. Smutek klappte seinen Körper über ihrem zusammen, Lippen und Zähne aufeinander gepresst, um nicht zu schreien, und als er glaubte, nicht mehr loszukommen, in ihr verbrannt zu sein zu bröckelnder Asche, gelang ihm ein letzter Stoß, der sie beide gegen eine der Tonnen mit Kartenrollen warf. Alles fiel, alles krachte zu Boden.
    Lass uns weggehen, gemeinsam. Nur wir beide. Sie lagen still zwischen Afrika und den Kanarischen Inseln. Smutek war aus ihr herausgerutscht, irgendwo war Feuchtigkeit, glitschige Haut, beschmutzte Kleidung. Sicherheitshalber hatte er den Schlüssel von innen stecken lassen. Man würde fragen nach diesem Lärm. Es gab keinen Spiegel - wie sich in Ordnung bringen? Sie rührten sich nicht, erwarteten ein Rütteln an der Klinke, flach schlagende Hände auf dem Holz. Nichts passierte. Die Pausenklingel schrillte, noch fünf Paar Füße trappelten über den Flur. Endlich Stille.
    Smutek sprang auf die Füße, wie nur Sportler springen, sammelte mit fliegenden Fingern die Karten ein und schob sie zurück in die Tonne, fast hätte er sie ein zweites Mal umgeworfen. Ada blieb liegen. Er flüsterte ihren Namen, glaubte einen Moment lang, sie beim Sturz verletzt zu haben. Ihre Augen waren offen, sahen vom Boden herauf und an ihm vorbei. Sie wartete darauf, wie eine der Landkarten in die Vertikale gehoben zu werden. Er griff ihr unter die Achseln, stellte sie auf die Füße, zog Slip und Hose die Beine hoch, strich ihr Pullover und Haare glatt.
    »Wie sehe ich aus?« Mit allen Fingern fuhrwerkte er sich durch die Haare.
    »Verwegen«, sagte sie. »Gut.«
    Da war ein Grinsen. Es bannte ihn und war gleich wieder fort.
    »Komm«, sagte er. »Du hast Mathe.«
    Sie hielten sich an den Händen, während er die Tür aufschloss. Sie betraten Seite an Seite den Gang. Niemand war in Sicht. Die Fenster zeigten einen inhaltslosen Himmel und trennten gleichgültig Maikälte von Heizungsluft.
    »Heute Abend«, sagte Ada, als er sie an der Ecke flüchtig küsste, »laufen wir gemeinsam.«
    »Achtzehn Uhr«, sagte Smutek, »in der Turnhalle.«
    Er war fort und hatte die Depression mit sich genommen. Ada ging auf die Toilette, um sich die Hände zu waschen. Im Spiegel sah sie das lächelnde Gesicht eines Mädchens, das frei war. Alle paar Sekunden für wenige Augenblicke frei wie ein fliegender Fisch.
    Pankratius, früher Abend
    S zymon Smutek. Man vergisst leicht, dass du einen vollen Namen besitzt. Szymon Smutek klingt nach einem toten Mann, der durch einen winzigen Treibanker im Brockhaus mit der Unendlichkeit verbunden ist.«
    »Ohne Photo, versteht sich.«
    »Geboren und gestorben in je einem gesichtslosen Jahr. 1824 und 1878.«
    Wegen der Kälte hatte Smutek sie zu Aufwärmübungen gezwungen, und während sie die Rümpfe beugten, die Fersen bei gestrecktem Bein gegen den Widerstand der Sehnen zu Boden drückten und die Oberkörper wie Getriebeteile um die vertikale Körperachse kreisen ließen, plauderte eine veränderte Ada ohne Unterlass.
    »Polnischer Physiker, entwickelte ein Raum-Zeit-Theorem, das von den Kollegen als unplausibel verworfen wurde. Einige von S. Gedanken könnten

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