Splitter im Auge - Kriminalroman
ausgesprochen.
»Natürlich muss man die mal wechseln. Sie wechseln Ihre Unterhose doch auch, oder?«, sagte er und verschwand wieder kopfschüttelnd unter der Motorhaube.
Steiger fand den Vergleich unpassend, beschloss aber, keine Scherze mehr zu machen.
Heinrich Körtner wohnte in einem Reihenhaus in Köln-Longerich. Steiger hatte hin und her überlegt, ob es eine andere Möglichkeit gab, an das Foto des Blitzers zu kommen, aber ihm war keine eingefallen. Es gab sehr wahrscheinlich eines in der Düsseldorfer Akte, aber da war der Versuch, es bei dem Rentner zu bekommen, stressfreier.
Beim ersten Schellen öffnete niemand, und gleichzeitig mit dem zweiten rollte ein silberner Golf in die Einfahrt aus rotem Verbundpflaster, an dessen Rändern die Beete akkurat gezogen war. Körtner stieg mit Badetasche aus. Durch die Panne mit den Zündkerzen war Steiger eine Stunde später dran als geplant, was sich als Glücksfall erwies, denn Heinrich Körtner war ein Morgenschwimmer, einer, der noch vor dem Frühstück seine tausend Meter im Freibad abspulte und nach Möglichkeit danach noch einen Saunagang einlegte. Das jedenfalls erzählte der Rentner, noch bevor er wusste, was Steiger von ihm wollte.
Seiner Figur war die Schwimmerei nicht unbedingt anzusehen, dachte Steiger, denn Körtner war einer der alten Männer, die nicht schlank waren, aber auf gut einen Meter siebzig eine straffe Kompaktheit verteilten, die ihn jünger wirken ließ.
Steiger stellte sich vor, zeigte seinen Ausweis und folgte ihm in den Hausflur, der geruchlos war. Er hätte Essensgeruch erwartet oder zumindest diese Mischung aus alter Luft und der Anwesenheit von Menschen, die er von unzähligen Festnahmen und Durchsuchungen kannte. Aus taktischen und rechtlichen Gründen fand so etwas meist morgens statt, und man schmiss die Leute regelmäßig aus dem Bett. Als junger Streifenpolizist hatten sie einmal genau zu der Zeit einen kleinen Straftäter festnehmen wollen. Der Mann hatte mit zwanzig Katzen und unzähligen Hunden, Hamstern und Vögeln in einer Dreizimmerwohnung gelebt, in der an dem Morgen dreißig Grad herrschten und wo auf nahezu jeder waagerechten Fläche ein Fressnapf oder eine geöffnete Dose mit glänzendem braunem Inhalt stand. Nie wieder hatte Steiger so etwas gerochen. Damals war er sich sicher gewesen, dass an jedem Luftmolekül in diesen Räumen etwas klebte, was in seiner Vorstellung grün war.
Bei Heinrich Körtner roch es frisch.
»Was führt schon so früh die Polizei zu mir?«, fragte Körtner und stellte seine Tasche ab.
»Es geht um eine Ermittlung, Herr Körtner, die schon drei Jahre zurückliegt. Sie sind damals in einer Mordsache von den Düsseldorfer Kollegen befragt worden, weil Ihr Auto in der Nähe des Leichenfundortes geblitzt worden war.«
Der Rentner nickte schon bei Steigers letzten Worten.
»Ach, die Sache. Was ist denn damit wieder?«
»Wenn ich die Akten richtig in Erinnerung habe, haben Sie sich damals vehement dagegen gewehrt, dass das Ihr Wagen war, der von dem Blitzer fotografiert worden ist.«
Körtner änderte augenblicklich seine Körperhaltung und sagte: »Das war eine Unverschämtheit, sage ich Ihnen. Man hat mir ernsthaft unterstellt, dass ich den Wagen verliehen hätte und irgendeinen Bekannten decken würde.«
»War denn so deutlich zu sehen, dass Sie es nicht sein konnten?«
»Das war ganz deutlich zu sehen, der Mann war wesentlich größer und auch jünger als ich, das konnte man trotz Brille und Mütze erkennen.«
Steiger spürte, dass ihn ein leiser Adrenalinschauer durchfuhr.
»Der Fahrer trug Mütze und Brille? Haben Sie das Foto noch?«, fragte er.
»Ich glaub’ schon.« Körtner ging zu einem Sideboard, öffnete eine der Türen und zog einen roten Ordner hervor. Nach kurzem Blättern reichte er Steiger das Foto. Es war eines der üblichen Fotos aus einem Starenkasten, grobkörnig und in Schwarzweiß, aber eines von der schlechteren Sorte. Steiger wusste, dass einige der Fotos manchmal so schlecht waren, dass man sie nicht gebrauchen konnte, zur Freude der Geblitzten. Man sah hinter dem Steuer des schwarzen Passat einen Mann mit Brille und Baseballkappe, und man konnte erkennen, dass er größer sein musste als Körtner, das war es aber auch schon. Vielleicht waren da noch Haare an der Seite, aber das war schon mehr eine Ahnung.
»Jetzt mal Hand aufs Herz, Herr Körtner«, sagte Steiger, »es ist drei Jahre her und jetzt eh völlig egal. Ist das ein Freund von Ihnen, den Sie
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