Splitter
Buchstaben, die einen Halbkreis andeuteten.
»Passt gut.«
Eddy nickte anerkennend. »Du bist der Erste, dem das auffällt.«
Valka war ein tschechischer Nachname und bedeutete übersetzt »Krieg«, etwas, worauf der Chef der organisierten Ostberliner Türsteherszene außerordentlich stolz war. Nachdem er sich die Hände an einer grünen Gummischürze abgewischt hatte, sah Eddy ihm zum ersten Mal in die Augen.
»Du siehst besser aus als früher. Nicht mehr so las eh. Treibst du Sport?«
Benny nickte.
»Verdammt, der Psychoknast scheint dir gutgetan zu haben. Wie kommt es, dass du schon so früh wieder draußen bist?«
»Alle paar Monate gibt es eine Überprüfung. Das ist Vorschrift.«
»Aha.«
Valka zog eine besonders langstielige Rose aus dem Eimer, roch an ihr und nickte anerkennend.
»Und die Psychofritzen denken jetzt also, du bist doch nicht mehr gemeingefährlich?«
»Nachdem mein lieber Bruder seine Aussage endlich korrigiert hat …«, Benny griff nach dem Blatt einer YuccaPalme, »… ja, danach haben sie mich gehen lassen.«
»Die hätten auch mich fragen können«, sagte Valka, und Benny musste grinsen.
»Ehrlich gesagt bin ich mir nicht so sicher, ob du in den Augen der Justiz einen vertrauenswürdigen Leumund hast.«
Eddy verzog beleidigt den Mund. »Es gibt keinen Besseren, um zu bezeugen, dass du keiner Fliege was zuleide tun kannst. Wie lange kennen wir uns jetzt schon?«
»Über siebzehn Jahre«, antwortete Benny und fragte sich, wann Valka endlich zur Sache kommen würde. Bei diesem Treffen ging es wohl kaum um einen Plausch über alte Zeiten.
»Scheiße, damals war meine jetzige Freundin noch nicht mal geboren.«
Valkas Lächeln erstarb so plötzlich, wie es aufgeblitzt war. »Anfangs wollten wir dich nicht dabeihaben, Benny. Du warst uns einfach zu weich.«
Eine weitere Rose wurde geköpft.
»Und genau das würde ich den Psychofritzen erklären, die dich weggesperrt haben. Ich würde denen stecken, dass mein ehemaliger Mitarbeiter ein HSPler ist.« Benny lächelte. Es war äußerst selten, dass jemand den Fachbegriff für seine Störung kannte. Aber Valka war einer jener Menschen, bei denen man nicht vom Äußeren aufs Innere schließen durfte. Mit dem gedrungenen Gesicht, der platten hohen Stirn und den schiefen Zähnen wirkte er wie der Prototyp eines Schlägers. Tatsächlich hatte er Abitur gemacht und sogar vier Semester Psychologie studiert, bevor er herausfand, dass er nicht die Lösung, sondern lieber die Ursache für die Alpträume seiner Mitmenschen werden wollte.
»Woher weißt du das?«, fragte Benny.
»Nun, ich habe mich oft gefragt, was mit dir nicht stimmt. Weshalb du so anders bist als dein Bruder, der keiner Auseinandersetzung aus dem Weg gegangen ist.«
Eddy rüttelte an einer verklemmten Schublade unter der Arbeitsplatte und zog sie mit einiger Mühe auf. »Ich meine, ich habe dich nie mit einer Braut gesehen. Also dachte ich, du bist schwul oder so. Doch dann habe ich das hier gefunden.«
Er nahm einen Zeitungsartikel heraus. »HSP«, las er laut. »Highly Sensitive Person. Umgangssprachlich auch als Mensch mit krankhafter hypersensibler Störung bezeichnet. Solche Menschen nehmen ihre Umwelt wesentlich stärker als normale Vergleichspersonen wahr. Sie spüren, fühlen, sehen, schmecken und riechen alles viel intensiver.«
Benny winkte ab. »Das ist alles Humbug.«
»Ach ja? Hier steht, früher waren HSPler Berater und Weise an den königlichen Höfen. Oder sie wurden wegen ihrer Fähigkeit, sich in die Gedanken und Gefühlslagen anderer hineinzuversetzen, zu Diplomaten, Künstlern, Finanzweisen …« Eddy sah kurz über die obere Kante des Artikels hinweg. »Das würde erklären, warum du mich immer belabert hast, ich solle Gnade vor Recht ergehen lassen, Mitleid mit meinen Feinden haben und so einen Scheiß.« Er zog geräuschvoll die Nase hoch. »Und es erklärt, weshalb ich dich damals zu meinem Buchhalter gemacht habe.« Benny verzog keine Miene, auch wenn Valka sich jetzt endlich dem eigentlichen Grund ihres Treffens näherte. Geld. »Allerdings steht hier auch …«, Eddy sah wieder auf seinen Artikel und schnalzte mit der Zunge, »… dass HSPler leider oft depressiv werden. Wahnsinnige, die vermehrt den Freitod wählen.«
»Ich lebe noch.«
»Ja. Aber das ist nicht dein Verdienst, sondern das deines Bruders.«
»Müssen wir ausgerechnet über Marc reden?«
Eddy lachte auf. »Gut, dass du mich daran erinnerst, was ich dir eigentlich zeigen
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