Spuren in der Wüste
Wir geben Dir beide einen dicken Kuß.
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Melde Dich bald einmal wieder.
Deine Mutt.«
Der beigelegte Brief war ein kleiner dünner Luftpostumschlag und
trug eine griechische Briefmarke. Die Schrift war Werner unbe-
kannt, der Absender fehlte.
Aber als er ihn öffnete, war es ihm, als wehe ihm der Duft eines
leichten, fruchtigen Parfüms entgegen:
»Lieber Werner,
bitte, vergiß mich! Bitte, suche auch nicht nach mir! Ich will dich nicht unglücklich machen.
Deine Irene.«
Es durchfuhr ihn wie ein heißer Schlag. Er sprang auf, preßte den
Brief an die Lippen. Sie wollte ihn zwar nicht wiedersehen, hatte
aber dennoch mit ›Deine Irene‹ unterschrieben.
Und wenn Sie diesen Brief aus Athen abgesandt hatte, dann war
es sehr wohl möglich, daß sie von dort aus nach Jerusalem weiter-
gereist war, denn viele Fluglinien machten Zwischenlandungen in
Athen. Es bestand also tatsächlich die Möglichkeit, daß Irene hier
war.
Von der dpa-Redaktion in Hamburg lag außer den Briefen noch
ein Telex von seinem Kollegen Ludwig vor.
»habe interessanten job für dich, weil du gerade an ort und stelle bist, ruf mich baldmöglichst an.«
»Verdammt noch mal, ich hab' doch Urlaub«, sagte Werner vor
sich hin, aber der Reporterinstinkt ließ ihn doch nach dem Telefon
greifen und ein Gespräch nach Hamburg anmelden.
Er mixte sich einen Brandy mit Selterswasser, während er auf den
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Anruf wartete.
Ludwigs Stimme klang mißmutig; in Hamburg goß es in Strö-
men, zu Hause mußte man die Heizung anmachen, und die Kinder
lagen alle mit Grippe im Bett. »Heirate nie, wenn du es vermeiden
kannst, bringt nur Ärger«, seufzte Ludwig, und dann kam er zur
Sache:
»Wir bereiten da 'ne größere Reisebeilage für Tageszeitungen vor.
Statistisch gesehen ist erwiesen, daß 'ne ganze Menge Leute im Ur-
laub umkommen, weil sie unvorsichtig sind. Zum Beispiel auf 'ner
Safari 'nen kleinen Löwen streicheln wollen wie 'ne Hauskatze, na
ja, du weißt schon, was ich meine. Und da du ja unten in Israel ein
paar Wüsten vor der Haustür hast und da ja darein auch schon
Ausflüge organisiert werden, sollst du zur Abschreckung 'ne alte
Sache recherchieren: Vor ein paar Jahren hat ein amerikanischer
Geistlicher von Jerusalem aus einen Ausflug in die Wüste gemacht
– mit seiner Frau und zwei Flaschen Cola. Sie haben sich verirrt,
und der Geistliche ist dabei umgekommen. Jim Fletcher hieß der
Knabe und war zwanzig Jahre älter als seine Frau. Klemm dich mal
dahinter, müßte ja was in alten Zeitungen oder Polizeiberichten zu
finden sein.«
»Okay«, sagte Werner, »wie lange ist die Sache her?«
»Ist vor sechs Jahren zu Ostern passiert.«
»Okay. Wie bald braucht ihr den Stoff?«
»Am liebsten vorgestern. Du hast es gut, du alter Hund, sitzt da
wahrscheinlich im hel sten Sonnenschein, eines von den knackigen
Sabramädchen auf dem Schoß und einen Longdrink in der Hand,
was?« maulte Ludwig.
»Erstens ist es schon dunkel draußen, zweitens heute Sabbat, da
setzt sich einem überhaupt kein knackiges Mädchen auf den
Schoß, und was den Drink angeht, hast du recht: Brandy mit So-
da.«
»Sauf einen auf mein Wohl«, sagte Ludwig.
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Sie lachten beide und legten auf.
Morgen würde Werner mit Zwi Ben Scheffer Kontakt aufnehmen,
einem Reporterkol egen, dem er schon in allen entlegenen Winkeln
der Welt begegnet war, nur noch nie in seinem Heimatland Israel.
Heute abend aber wol te er nur noch an Irene denken, und er las
immer wieder ihre wenigen Zeilen und dann nur noch ›Deine Ire-
ne‹, und darüber schlief er ein.
Am nächsten Morgen rief Werner Zwi Ben Scheffer an, und er kam
zum Mittagessen mit seiner ganzen Familie ins Hotel.
Im Speisesaal wurde zur Abwechslung ein arabisches Mahl ser-
viert, gebackenes Lamm und Couscous, und als Vorspeise auf win-
zigen Porzellanschiffen etwa zwanzig verschiedene scharfgewürzte
Kräuter und Salate.
Zwi und seine Familie – seine Frau war eine echte Sabra mit lei-
denschaftlich glühenden Augen, die drei Kinder sahen mit ihren
roten Haaren und Sommersprossen wie Reklamegören für Popcorn
aus – vertilgten unglaubliche Mengen, waren ungeniert fröhlich und
laut.
Nach dem Essen scheuchte Zwi seine Frau und die drei Jungen
zum Swimming-pool, während er und Werner auf der überdachten
Terrasse Kaffee und Cognac tranken.
»Hinter der Fletcher-Geschichte bist du her?« fragte Zwi. »Da ist
doch schon alles drüber geschrieben worden.«
»Nur
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