Spuren in der Wüste
den Briefbogen in
seine Jackettasche.
Die beiden Männer, die an der Tür gestanden hatten, brachten
den Kaffee und vier Gedecke.
Der Weißhaarige bediente Irene.
»Milch und Zucker?«
»Ja bitte.«
Sie tranken Kaffee, als sei dies ein ungezwungener Besuch unter
Freunden.
»Sie wissen, was in den Umschlägen war, die Sie befördert ha-
ben?« fragte der Weißhaarige schließlich.
»Nein«, sagte Irene.
»Sie haben nie einen geöffnet?«
»Nein. Ich war oft nahe daran, aber dann dachte ich, es ist besser,
wenn ich es nicht weiß. Einmal habe ich gefragt, aber man hat
mich belogen. Ich – es war schon schwer genug, ich meine, dieser
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Kurierdienst.«
»Das ist jetzt vorbei. In Zukunft werden Sie für uns arbeiten. Und
das wird Ihnen gewiß leichter fallen. Abus Ring ist aufgeflogen, Sie wissen schon, der Mann, den Sie den ›Dunklen‹ nennen.«
Konnte der Weißhaarige Gedanken lesen?
Er lächelte sie an. »Ja, Mrs. Blessing, man lernt so allerlei in meinem Beruf.«
»Was habe ich in den Umschlägen befördert?« fragte Irene.
»Namen von Orten und Kontaktpersonal, die Geld gaben.«
»Das ist alles?« Sie war erleichtert. Unsäglich erleichtert.
»Es war genug.« Sekundenlang war das Gesicht des Weißhaarigen
wieder hart und ausdruckslos.
»In Zukunft werde ich es sein, von dem Sie die Umschläge er-
halten.«
Und sie sagte: »Bitte, nein, bitte lassen Sie mich doch aus dem
Spiel raus, ich will nicht mehr, ich kann einfach nicht mehr. Ich
habe – ich könnte, ich möchte so gern ein neues Leben anfangen.
Ich habe – da ist ein Mann, der mir vertraut. Ich – ja, ich könnte
zum erstenmal in meinem Leben glücklich sein. Bitte nehmen Sie
doch jemand anderen. Bitte, lassen Sie mich doch endlich ein nor-
males Leben führen. Ich bin dreißig, ich könnte heiraten, noch
Kinder haben.« Sie schlug die Hände vors Gesicht. Es war zuviel
gewesen, sechs Jahre Sühne waren genug. Sechs Jahre der Angst und
des Gehetztseins mußten doch genügen.
»Es tut mir leid, Mrs. Blessing«, hörte sie die ruhige Stimme des
Weißhaarigen sagen, »aber wir brauchen Sie. Wir leben in einer
Welt, die leider ganz und gar nicht friedlich ist. Wenn Sie uns hel-
fen, können wir dafür sorgen, daß sie ein bißchen friedlicher wird.
– Meine Freunde werden Sie jetzt zum Flughafen fahren. Sie neh-
men die nächste Maschine nach Amsterdam. Dort werden Sie ab-
geholt. Sie fliegen dann morgen nachmittag nach London weiter.
Auch dort wird man Sie erwarten. – Und schauen Sie, die Umschlä-
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ge unterscheiden sich nicht von denen, die Sie bisher befördert
haben.«
Irene starrte auf die blanken weißen Umschläge.
Einer war ein wenig größer als der andere.
»Kann ich wenigstens noch zu Hause anrufen, Bescheid sagen?«
»Das geht leider nicht«, sagte der Weißhaarige. Er wechselte über-
gangslos ins Deutsche.
»Herr Holt weiß ja, daß Sie eine geheimnisvolle Frau sind. Es
stört ihn nicht, also wird er alles glauben, was Sie ihm bei Ihrer
Rückkehr erzählen. Und Sie können ihm alles erzählen. Nur nicht
die Wahrheit.«
Noch ehe Werner die Wohnungstür aufschloß und sah, daß Licht-
schein aus dem Wohnraum in die Diele fiel, wußte er, daß Irene
zurückgekehrt war.
Sie kam ihm in einem langen seidenweichen Kleid entgegen, von
der Farbe wilder Pflaumen.
Sie war so schön, und in ihren Augen las er so viel, daß er vor
allem anderen sie in seine Arme schloß.
Sie standen lange fest aneinandergepreßt.
Dann machte sie sich los. »Verzeih«, sagte sie. »Ich wußte nicht,
daß ich ein paar Tage wegbleiben würde. Aber in London streikten
die Fluglotsen.«
»Du warst in London?« fragte er verblüfft.
Sie lächelte und nickte.
»Und ich hab' gedacht, dir ist etwas passiert. Ich hab' schon die
schlimmsten Alpträume gehabt.«
Er folgte ihr ins Wohnzimmer, wo sie ihm einen Gin tonic mixte;
sie selbst trank nur Tonic-Wasser. »Wird das häufiger vorkommen,
daß du so einfach verschwindest?« fragte er und ließ es leicht und
beinahe scherzhaft klingen, obwohl ihm gar nicht danach zumute
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war.
»Das kann sein«, gab sie zu.
»Und warum?«
»Es hat etwas mit dem Nachlaß meines ersten Mannes zu tun.«
»Geschäftliche Besprechungen?«
»Geschäftliche Besprechungen«, sagte Irene.
Er sah sie fragend und nachdenklich an, sie erwiderte seinen Blick
offen, aber, wie ihm schien, auch ein bißchen abweisend.
»Du willst nicht darüber reden?«
»Ungern«, sagte
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