St. Leger 03 - Die Nacht der Feuerfrau
enttäuscht an. Katie wand sich. Was, zum Teufel, interessierte es sie, wenn er traurig war? Nachdem sie für einige Momente solcherart mit sich gerungen hatte, fragte sie schließlich knurrig: »Und worüber, Hölle noch mal, wolltet Ihr mit mir sprechen?« »Ich wollte Euch nur in Eurem neuen Zuhause willkommen heißen.«
»Das ist nicht mein Zuhause, und da bleibe ich sowieso nicht. Sobald ich eine Gelegenheit habe, laufe ich davon, und keiner wird mich aufhalten können.« Trotzig schob sie das Kinn vor. Mal sehen, wie ihm das schmeckte. Aber der »Freund« sah Katie nur traurig und ernst an.
»Nun, vermutlich könnte ich Euch wirklich nicht aufhalten«, entgegnete er dann, »wenn es Euch hier gar nicht gefällt. Aber falls es dazu kommen sollte, wäre ich furchtbar traurig.«
»Was kümmert es Euch denn? Die meisten Menschen sind heilfroh, mich loszuwerden. Die alte Crockett im Waisenhaus hat extra für diese Gelegenheit ein Fläschchen Rum aufgehoben. Sie meinte, endlich würde sie den leibhaftigen Teufel los.«
Seine Mundwinkel zuckten, aber er blieb ernst: »Diese Frau Crockett hat da aber ziemlich falsch gelegen. Ich wette, sie kannte Euch nicht so gut, wie ich Euch gern kennen lernen möchte. Ihr erscheint mir nämlich als ebenso interessantes wie intelligentes Mädchen.« Katie runzelte unsicher die Stirn. Wenn er ihr gesagt hätte, sie sei hübsch, charmant und süß, hätte sie gewusst, was sie von ihm zu halten hatte. Aber er hatte Recht, sie war wirklich gescheit, und das mit dem »interessant« war wohl auch nicht allzu weit hergeholt. Das Mädchen rutschte hin und her. Hier unten auf dem Boden kam es ihr plötzlich ungemütlich und beengt vor. Sie warf ihrem Besucher einen kritischen Blick zu, entschied, dass er harmlos genug war, und kroch dann unter der Bank hervor, um sich auf die Bank ihm gegenüber zu setzen.
Er rührte sich nicht von der Stelle, und seine Hände blieben auf dem Griff des Gehstocks. Überhaupt ging eine Ruhe von ihm aus, wie sie es noch nie bei einem Menschen erlebt hatte. Ohne sich das erklären zu können, wirkte seine bloße Gegenwart beruhigend auf sie. Mit einem leisen Seufzen lehnte sie sich gegen die gepolsterte Rückenlehne.
»Ihr seid sicher sehr m ü de, nach einer so langen Reise«, bemerkte der Mann jetzt.
Das stimmte natürlich, aber so weit waren sie beide noch lange nicht, dass sie so etwas hätte zugeben können. Also zuckte Katie die Schultern und entgegnete: »Ach, so schlimm war es nun auch wieder nicht. Ich fand es sogar recht lustig, die dummen Gesichter von den anderen Trotteln im Waisenhaus zu sehen, als ich von einer so vornehmen Kutsche abgeholt wurde.« »Mir tun die Pferde Leid.«
»Von wegen! Das sind ganz tolle Tiere, verdammt noch mal!«
»Mag sein. Aber bestimmt ist es nicht gut für sie, wenn man sie so lange in der kalten Nachtluft stehen lässt. Von der langen Fahrt sind sie noch schweißnass. Da holen sie sich leicht eine Erkältung. Vielleicht sogar eine Lungenentzündung ...«
»Blödsinn! Pferde kriegen doch keine Lungenentzündung«, entgegnete sie ungehalten. Für was für eine Idiotin hielt er sie eigentlich? Aber dann stieg eine unangenehme Erinnerung von einem ihrer vielen Fluchtversuche aus Mrs. Crocketts Waisenhaus in ihr auf. Sie war damals im Gasthaus »Zur Glocke und Krone« untergekrochen, und einer der Stallburschen hatte sich recht nett um sie gekümmert. Als er ihr Interesse für Pferde bemerkte, durfte sie ihm dabei helfen, die Tiere zu tränken. Und er hatte ihr unter anderem das Gleiche erzählt wie dieser Fremde hier. Man durfte Pferde nach der Arbeit nicht zu lange draußen stehen lassen.
Von schlechtem Gewissen erfasst, grummelte sie: »Dann soll dieser Trottel von einem Kutscher sie endlich ausspannen und abreiben.«
»Ja, das könnte er, aber dann bliebe die Kutsche hier stehen und würde den Weg versperren.« »Wieso rollt er den verdammten Wagen dann nicht ins Kutschhaus?«
»Und Euch drinnen lassen? Ich fürchte, es würde Euch wenig gefallen, im Kutschhaus eingesperrt zu sein. Dort ist es nämlich furchtbar kalt und dunkel.« »Davor fürchte ich mich nicht. Das bin ich gewohnt.« »Das glaube ich gern«, bestätigte der junge Mann. Aber warum er sich dabei so traurig anhörte, ging über Ka ties Verstand. »Aber Ihr wärt auch eingesperrt, und ich glaube, das würdet Ihr nicht so leicht ertragen.« Gegen ihren Willen zuckte das Mädchen zusammen. Damit hatte der Mann verdammt Recht. Sie hasste das
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