St. Leger 03 - Die Nacht der Feuerfrau
ängstlicher Blick auf das Kutschenfenster rief ihr die Menge ins Bewusstsein zurück, die sich immer noch draußen aufhielt.
Der Wunderheiler schien sofort zu spüren, was in ihr vorging, denn er sagte: »Keine Sorge, ich werde die Leute verscheuchen. Niemand wird Euch belästigen. Und solltet Ihr zu müde sein, könnte ich Euch auch ins Haus tragen. Dann müsstet Ihr niemanden anschauen.« Katie wunderte sich, wie willkommen ihr dieses Angebot war. Sie fühlte sich hundemüde, warf aber dennoch einen zweifelnden Blick auf ihn und seinen Stock. »Wie wollt Ihr mich denn tragen, wo Ihr doch nicht einmal richtig gehen -« Entsetzt über ihre plumpen Worte, hielt sie sofort inne. Vermutlich zum ersten Mal in ihrem Leben nahm sie Rücksicht auf einen anderen Menschen. Doch zu ihrer großen Erleichterung zwinkerte er ihr zu: »Ihr wärt überrascht, Miss Katherine, wenn Ihr wüsstet, was ich alles vermag, wenn ich es mir nur fest vornehme.« Damit nahm er seinen Stock und wollte schon die Kutschentür öffnen, als sie ihn zurückhielt. Aller Mut verließ das Mädchen, aber sie wusste, dass sie noch etwas klarstellen musste.
Als er sie mit seinen braunen Augen fragend ansah, fiel es ihr noch schwerer, zu sprechen. Mehrmals schluckend erklärte sie: »Ich bin nicht Miss Katherine, sondern einfach Kate.« Und bevor er nachfragen konnte, fügte sie hinzu: »Ich habe keinen anderen Namen, weil ich nämlich ein uneheliches Kind bin!«
Sie senkte den Kopf und erwartete, dass er sie mit Verachtung überschütten und ablehnen würde, wie das so viele vor ihm getan hatten. Aber stattdessen hob er ihren Kopf an, damit sie ihn ansehen musste. »Das kann man wohl kaum als Eure Schuld ansehen, oder, meine Liebe?« Er setzte wieder dieses leicht melancholische Lächeln auf. »Außerdem hat man Euch adoptiert. Von nun an werdet Ihr Miss Kate Fitzleger sein.« Das bekam sie nur mit einem Ohr mit, denn viel besser gefiel ihr, wie warm sich seine Hand anfühlte, als er ihr über die Wange strich.
Mit einiger Mühe stieg er nun aus der Kutsche. Halb aus der Tür, drehte er sich zu ihr um und stellte sich vor: »Ich heiße übrigens Valentine St. Leger.« »Valentine St. Leger«, wiederholte sie den großartigsten Namen, den sie je gehört hatte. Als sich die Tür hinter ihm schloss, atmete das Mädchen tief aus und legte eine Hand an die Wange, um seine Berührung ewig dort festzuhalten.
Dann huschte sie zum Fenster und hob den Vorhang hoch, um festzustellen, was Valentine St. Leger anstellte. Das Meer ununterscheidbarer Gesichter löste sich bereits auf. Katie wunderte sich, wie dieser Mann das fertig brachte. Er brüllte nicht, und er bedrohte auch niemanden. Nein, er sprach einfach mit seiner ruhigen Stimme zu den Menschen. Vielleicht war der junge Mann ja wirklich der Urenkel eines richtigen Hexenmeisters ... Dann stockte ihr der Atem, als sie begriff, was für einen Menschen sie kennen gelernt hatte: Einen echten Gentleman von der Art, von der Katie geglaubt hatte, dass sie nicht mehr existiere.
Als er zur Kutsche zurückkehrte und ihr die Tür öffnete, hielt sich außer ihm niemand mehr draußen auf. Den Stock hatte er dem Postjungen gegeben, stand jetzt auf seinem gesunden Bein und wartete darauf, dass Miss Kate ausstieg.
Das Mädchen wagte sich zwar bis zur Tür, aber nicht weiter. Nie zuvor hatte sie einem Menschen getraut. Wenn dieser Gentleman sie nun in Effies Haus trüge und sie dort im Stich ließe? Wenn sie ihn dann nie wieder zu Gesicht bekäme? .
»Ihr wollt wirklich bleiben und mit mir zu Abend essen?«, fragte sie.
»Selbstverständlich.«
»Und Euren Gehstock darf ich auch ausprobieren?« »Das habe ich Euch versprochen, oder?« Ein wunderbarer Einfall kam ihr. Sie atmete tief ein und stellte dann die allerkühnste Frage: »Ich möchte nicht Kate Fitzleger sein ... Würde es Euch etwas ausmachen, Euren Nachnamen mit mir zu teilen?« Er lachte. »Mal sehen, was sich da machen lässt.« Nun streckte Valentine die Arme aus und bedachte sie mit seinem typischen Lächeln, in das sie sich bereits verliebt hatte. Dem Mädchen wurde schwindelig, und wenn er sie dazu aufgefordert hätte, wäre sie jetzt von einem Klippenrand gesprungen.
Mit einem Mal fiel es ihr gar nicht mehr schwer, sich von der Kutschentür abzustoßen - und in seinen Armen zu landen.
Er hielt sie sicher und fest - und war noch stärker, als sie vermutet hatte. Valentine drückte Kate an sich und setzte sich dann mit einer eigentümlichen Gangart
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