St. Leger 03 - Die Nacht der Feuerfrau
»Wir fahren zu den hübschen Stellen in der Stadt. Dort, wo meine Base lebt. Sie ist mit einem Baron verheiratet und verkehrt in den besten Kreisen.«
Die Vorstellung gefiel Effie so gut, dass sie in die Hände klatschte. »Denk dir nur, Kate, all die Theater, die Bälle, die Verehrer ... Wir verbringen die Ballsaison in London, ganz so, wie wir es uns immer erträumt haben.« »Wie du es dir immer erträumt hast«, stellte die junge Frau richtig, »ich aber nie.«
»Die Menschen können nicht immer das Gleiche träumen, Kate.« Ein merkwürdiger Zug huschte über Effies Miene - Trauer und Weisheit. So etwas hatte sie von ihrer Adoptivmutter nicht erwartet.
Der Moment verging jedoch rasch, und schon war Effie wieder ganz die Alte. Endlos plapperte sie über all die wunderbaren Dinge, die man in London unbedingt besuchen müsse.
Kate hatte nicht vor, sich so weit von Val zu entfernen. Aber wie hätte sie die Effie jetzt, da sie nicht mehr weinte, unterbrechen können? Außerdem schien Effie die Halloween-Eskapade ihrer Tochter bereits vergessen zu haben.
»Lauf bitte zu John, und sag ihm, dass er heute Nachmittag einen Brief für mich aufgeben soll. Und ich gehe zu Mrs. Bell. Wir brauchen für die große Fahrt Reisekleidung.«
Effie schwang die Beine von der Chaiselongue und machte Miene, sofort zu der Schneiderin aufzubrechen. »Vielleicht solltest du dir erst etwas überziehen«, mahnte Kate.
Effie sah an sich herab. »Ach, herrje! Ich dummes Ding.
Kate, ruf doch bitte Nan, damit sie mir Toast und Tee zubereitet. Ich kann dringend eine Stärkung gebrauchen. Der Morgen mit Mrs. Bell war so anstrengend, die mir schlimme Geschichten über mein liebes kleines Mädchen und auch Victor St. Leger zumutete.« »Victor? Hadrians Enkel? Was hat der denn schon wieder angestellt?«
»Ach, dieser furchtbare Mensch!«, jammerte Effie. »Der bringt mich noch vorzeitig ins Grab.«
»Aber was will er denn n o ch, du hast ihm doch seine Braut gefunden!«
»Ja, aber dieser undankbare Kerl ist mit meiner Wahl nicht einverstanden. Gestern Nacht hätte er Mollie Grey den Heiratsantrag machen sollen. Aber dieser unmögliche Bengel hat sich nicht bei ihr blicken lassen. Mollie ist natürlich am Boden zerstört, wie Mrs. Bell zu berichten wusste.«
»Die Schneiderin hat heute offensichtlich sehr viel zu tun gehabt«, murmelte Kate, »wenn auch nicht unbedingt in ihrem Beruf.« Sie zuckte die Schultern. »Was schert es dich, Effie? Du hast deinen Teil geleistet. Wenn Victor das Mädchen nicht haben will, geht das dich nichts mehr an. Und Mollie kann froh sein, nicht an ihn gebunden zu sein.«
Kate hatte nie viel von Victor gehalten, den sie für einen unreifen Bengel hielt. Der Jüngling hatte so gar nichts von seinem Großvater oder seinem Vater, die beide leidenschaftlich gern zur See gefahren waren und hundert Abenteuer und mehr erlebt hatten. Victor hingegen wurde angeblich schon seekrank, wenn er sich auf einem See in ein Ruderboot setzen musste. Aber Effie ließ sich von Kates Einwänden nicht bremsen: »Manchmal weiß ich nicht mehr, warum ich mir eigentlich solche Mühe gebe. Ich rackere mich ab, bis mir das Blut unter den Fingernägeln hervorspritzt, um den St. Legers eine Braut zu finden, aber glaubst du, sie würden sich dafür jemals bei mir bedanken?« »Dann stell deine Dienste doch ein.« »Ach, mein Schatz, das verstehst du nicht, kannst du ja auch gar nicht. Ich wurde zur Brautsucherin geboren, genau wie vor mir mein Großvater ...« Ihre Augen blickten jetzt sehr traurig drein: »Vom Schicksal auserkoren, anderen die Liebe zu finden, während ich selbst doch nie mehr als einen eigenen Bräutigam wollte.« »Warum hast du denn nie geheiratet, Effie? Du warst doch bestimmt ein hübsches Mädchen -« Kate erkannte ihren Fehler sofort und fügte rasch hinzu: »Das bist du natürlich immer noch. Ich wette, die Verehrer haben bei dir Schlange gestanden.«
»Ja, das kann man so sagen«, bestätigte Effie allen Ernstes und spielte mit ihren Löckchen. »An Verehrern hat es nicht gemangelt. Nur vermochte keiner von ihnen jemals mein Herz zu erobern. Wenn ich doch nur nach Großvaters Tod nach London hätte ziehen können. Zu meiner Base. Dort hätte ich bestimmt den richtigen, gut aussehenden und flotten Jüngling gefunden ...« Ihre Miene verdüsterte sich wieder: »Aber dann musste ich ja Großvaters Erbe antreten und Brautsucherin werden. Und jetzt ist es natürlich zu spät...« »Aber du hast doch immer noch
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