St. Leger 03 - Die Nacht der Feuerfrau
wie zum Beispiel mein Großvater bin. Ein Mann, in den Ihr Euch sofort verlieben könntet. Aber ich kann mich ändern, Kate. Das verspreche ich Euch. Denn um Euretwillen würde ich alles tun.«
»Ach, Victor, bitte«, stöhnte die junge Frau. Sie hätte nicht gedacht, sich wegen ihm noch schlechter fühlen zu können. Aber der Mann zeigte ihr jetzt, was richtige Schuldgefühle waren.
Seine Augen blickten zum Herzzerreißen ernst drein, als er fortfuhr: »Ich weiß auch, wie sehr Ihr das Meer mögt. Nun, meine Familie besitzt viele Schiffe. Ich könnte mit Euch also die ganze Welt umsegeln.« »Nein, das könntet Ihr nicht. Schon wenn Ihr in ein Ruderboot steigt, werdet Ihr seekrank.« Victor erbleichte, straffte dann aber mannhaft die Schultern. »Ich habe gehört, dass selbst Britanniens großer Seeheld, Lord Nelson, gelegentlich unter Seekrankheit litt. Trotzdem hat er vor Trafalgar den Sieg errungen. Aber was ist so ein schnöder Krieg im Vergleich zu meiner Liebe für Euch. Sie verleiht mir die Kraft, alles zu erreichen. Für Euch würde ich sogar meine besonderen St.-Leger-Fähigkeiten einsetzen.«
Als sie ihn verständnislos anstarrte, strahlte er: »Seht Ihr, das habt Ihr nicht gewusst, oder?« Sie schüttelte den Kopf.
»Nun, ich muss ein wenig beschämt gestehen, dass ich stets großen Wert darauf gelegt habe, diese Gabe für mich zu behalten. Wohl aus selbstsüchtigen Beweggründen, u m nicht von Hinz und Kunz belästigt zu werden. Nun denn, ich besitze das seltene Talent, voraussagen zu können, was aus vermissten Menschen geworden ist. Und zu Eurem Nutzen würde ich diese Befähigung gern einsetzen.« »Vielen Dank, Victor, aber im Moment vermisse ich niemanden.«
»Nicht einmal Eure Mutter?«
»Effie sitzt gerade im Haus und nimmt wohl ihren Nachmittagstee ein.«
»Nein, ich meine Eure leibliche Mutter.« »Wollt Ihr damit etwa andeuten ... Ihr könntet...« »Ganz recht.« Er nahm ihre beiden Hände. »Dazu müsstet Ihr mir nur tief in die Augen blicken, damit ich tief genug in Euer Gedächtnis eindringen kann, bis zum Zeitpunkt Eurer Geburt, um das Gesicht Eurer Mutter zu erblicken. Nach einem Moment geistiger Anstrengung bin ich dann durchaus in der Lage, Euch zu sagen, wo sich Eure Mutter gerade befindet - oder auch, wo ihr Grab ist.« Kate zog sich von ihm zurück, denn dieses Angebot brachte sie völlig durcheinander. Victor hatte sich das alles doch sicher nur ausgedacht, um sie zu beeindrucken. Aber sie hatte auch die Redlichkeit in seinen Augen gesehen - und immerhin gehörte er zu den St. Legers. Nach all den Jahren von ihrer richtigen Mutter zu hören? Früher hatte sie sich immer gesagt, dass sie eigentlich von dieser Frau nichts mehr wissen wollte. Damit hatte sie sich nur selbst etwas vorgemacht, gemäß ihrer Art, all das beiseite zu schieben, was ihr wehtun könnte. In Wahrheit hatte Kate immer gehofft, eines Tages zu entdecken, dass ihre Mutter triftige Gründe dafür gehabt hatte, ihre Tochter auszusetzen ... Und jetzt stand ausgerechnet Victor hier und bot ihr an, endlich die Wahrheit zu erfahren.
»N-nein«, erklärte sie mit einem unsicheren Lächeln. »Ich will das gar nicht wissen. Meine Mutter war bestimmt kein sehr angenehmer Mensch.« »Eure Mutter, Kate, muss ein Engel gewesen sein.« »Engel verlassen aber nicht kleine Mädchen. Und sie bringen auch keine schlechten Mädchen wie mich zur Welt.«
»Ihr seid doch nicht schlecht, sondern vollkommen wunderbar!« Er lächelte sie so verzückt an, dass sie nicht mehr anders konnte, als ihm die Wahrheit zu gestehen, gleichgültig, was das für Folgen haben würde. »Victor, in Wirklichkeit liebt Ihr mich gar nicht.« »Oho, das kann ich Euch aber versichern.« »Nein, denn ... denn ich habe Euch mit einem Zauber belegt.«
»Selbstverständlich habt Ihr das. Ihr habt mich verhext, verzaubert, unter Euren Bann gestellt.« »Ohhhh!«, seufzte Kate und hätte am liebsten mit dem Fuß aufgestampft.
Bevor sie ihn aufhalten konnte, legte er seine Arme um sie und zog sie ganz nahe an sich heran. »Ich bete Euch an, Kate. Bitte, lasst mich beweisen, wie groß meine Liebe für Euch ist. Für Euch würde ich sogar mein Leben geben.« »Das lässt sich bewerkstelligen!«
Die eisige Stimme erscholl wie aus dem Nichts und erschreckte beide. Kate drehte sich herum und erschrak beim Anblick des dunkelhaarigen Mannes am Eingang des griechischen Tempels. Sein Schatten breitete sich über den Steinboden und die beiden jungen Leute aus.
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