St. Leger 03 - Die Nacht der Feuerfrau
kleiner Karpfenteich.
Hier konnte man sich nur schlecht zurückziehen beziehungsweise verstecken. Außer vielleicht unter dem Apfelbaum oder hinten im Sommerhaus. Die junge Dame entschied sich für den Obstbaum. Mit einem hastigen Blick nach links und nach rechts zog sie das heraus, was sie unter dem Umhang verborgen hielt. Der grässliche Victor hatte ihr ein weiteres Gebinde geschickt. Kate betrachtete die Blumen mit einem angewiderten Blick und schleuderte das Bouquet über die Gartenmauer. Erleichtert vernahm sie das neugierige Meckern der Ziege von Witwe Thomas. Das Haustier der Nachbarin fraß wirklich alles.
Victor hatte sich erstaunlich gut von seiner gestrigen Abfuhr erholt. Seitdem plagte er sie mit allem, was ihm in den Sinn kam. Er schrieb ihr peinliche Liebesbriefe, verfasste entsetzliche Gedichte und legte ihr Blumensträuße auf die Schwelle.
Bislang hatte die junge Frau Briefe wie Gedichte in den Ofen werfen und die Gebinde über die Gartenmauer warfen können, ehe jemand anderer etwas davon mitbekam. Aber wenn ihr nicht möglichst rasch ein Weg einfiel, Victor von seiner Liebe zu kurieren, würde sich bald das ganze Dorf über sie und ihren ungewollten Verehrer lustig machen.
Was für eine Ironie des Schicksals: Der Mann, den sie nicht wollte, verfolgte sie auf Schritt und Tritt, wohingegen derjenige , für den ihr Herz schlug, selbst ihrem Liebeszauber zu widerstehen schien. Val hatte sie seit dem letzten Treffen nicht mehr aufgesucht, war nicht einmal mehr in ihre Nähe gekommen. Aber solange sie Victor nicht losgeworden war, konnte Val genauso gut noch warten.
Aber wie sollte ihr das ohne Zauberbuch gelingen? Letzte Nacht hatte sie das Bändchen Stunde um Stunde gesucht. Sorge und Verzweiflung beherrschten sie seitdem. Kate hatte die Macht selbst gespürt, die in Prosperos Zauberkraft steckte. Deswegen durfte dieses Werk nicht in die falschen Hände geraten!
Aber vielleicht war gerade das längst geschehen ... Kate blieb beinahe das Herz stehen, bis ihr einfiel, dass ein Dieb wohl kaum die altägyptische Bilderschrift lesen konnte.
Und wenn ein Bediensteter des Hauses es fortgeräumt hatte? Sie hatte alle gefragt, und sie antworteten mit einer Ehrlichkeit, die an Selbstverleugnung grenzte, dass sie ein so beschriebenes Buch noch nie zu Gesicht bekommen hätten.
Bei Effie hatte sie sich nicht erkundigt. Das Einzige, was ihre Adoptivmutter jemals las, waren die neuesten Mode-Journale.
Aber wenn das Buch nun nicht gestohlen oder verlegt worden war? So ein Bändchen konnte sich doch nicht einfach Beinchen wachsen lassen und davonlaufen. Ach, wenn es doch nur so wäre, seufzte Kate im Stillen. Denn dann hätte sie die einzige andere Möglichkeit, die noch blieb, gar nicht erst in Betracht ziehen müssen. Wenn sie das Buch nicht mehr fand, musste sie vor Pros pero treten und ihm gestehen, dass sie ihn nicht nur bestohlen, sondern das Diebesgut auch noch verloren hatte! Was würde der zornbebende Zauberer dann mit ihr anfangen? Sie mit dem Kopf nach unten über dem Burggraben aufhängen? Sie ins allertiefste Verlies werfen? Sie in eine Kröte verwandeln?
Vielleicht wäre Letzteres gar nicht so schlimm, wenn sie bedachte, was für eine Bescherung sie angerichtet hatte. Auf dem Weg zurück ins Haus schaute sie hinter jedem Strauch nach und hörte nicht, wie sich ihr Schritte näherten - und wie sich dann zwei Hände vor ihre Augen legten. »Dreimal dürft Ihr raten«, verkündete eine verzückte Männerstimme.
So viele Male brauchte sie gar nicht. »Victor!«, presste die junge Frau hervor. Nach dem ersten Schrecken schob sie ärgerlich seine Hände fort, drehte sich zu ihm um und fuhr ihn an: »Was, zum Teufel, habt Ihr denn hier verloren?«
Er nahm seinen Biberfellhut ab und begrüßte sie mit einer vollendeten Verbeugung.
»Ich bin gekommen, meine Herzensprinzessin, mich Euch zu Füßen zu werfen«, eröffnete Victor ihr. Worte allerdings, die ihre Wirkung auf Kate völlig verfehlten, da sie nach dem Haus spähte, weil sie befürchtete, jeden Moment könne eine Magd oder ein Knecht herauskommen und Zeuge dieser peinlichen Szene werden. Oder gar Effie selbst zeigte sich!
Also griff sie beherzt zu und zog Victor an einer seiner unzähligen Radmantelfalten zum Sommerhaus, die Nachbildung eines altgriechischen Tempels. Der bot zwar entschieden zu wenig Versteckmöglichkeiten, aber wenigstens konnte man sich hinter eine der Säulen stellen. Zu ihrem großen Pech verstand Victor dieses Manöver
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