St. Leger 03 - Die Nacht der Feuerfrau
machte ihn immer stärker und stärker. Die Magie des Kristalls stand ihm nun zur freien Verfügung. Aber nur, solange noch Tageslicht herrschte. Er leckte sich über die Lippen. Vielleicht sollte er nicht länger auf die junge Frau warten.
Am besten suchte er den Vikar sofort auf und besprach alles mit ihm, solange er sich noch halbwegs auf die Hochzeit konzentrieren konnte und nicht nur daran dachte, Kate ins Bett zu bekommen.
Das Pfarrhaus befand sich hinter der Kirche, und Valentine lief quer über den Friedhof darauf zu. Viele Dörfler fürchteten sich selbst bei hellem Tageslicht vor dem Kirchhof. Aber Valentine arbeitete schon zu lange als Arzt, um sich noch vor dem Tod zu fürchten ... bis ihn der erste eisige Hauch umwehte. Wie frostkalte Finger, die ihm über den Nacken strichen. Er bekam eine Gänsehaut, blieb stehen und sah sich um. Valentine war auf den ältesten Teil des Friedhofs gelangt. Viele Grabsteine waren umgefallen oder zerbrochen, und wirkten wie das Gebiss eines Drachens. Der Arzt konnte die meisten der verwitterten Inschriften nicht mehr entziffern. Aber das musste er auch nicht, denn er wusste, wer hier beerdigt lag und warum ihm das Stück Land feindlich gesonnen zu sein schien. In dieser Ecke lagen die Mortmains, die Todfeinde der St. Legers.
Valentine fuhr zurück, um dem Bösen zu entgehen, das hier fast körperlich spürbar nach ihm griff. Dabei prallte er gegen einen Grabstein, der neuer aussah als die anderen.
E vel yn Mortmain
1761-1789
Valentine erinnerte sich, wie sehr es ihn als Kind empört hatte, dass diese durch und durch böse Frau, die versucht hatte, seine Eltern zu ermorden, auf dem geweihten Boden von St. Gothian beigesetzt werden sollte. Evelyn hatte ein gewaltsames Ende gefunden - wie fast alle Mortmains vor ihr.
Er wollte diesen Teil des Friedhofs verlassen und wie gewohnt umgehen. Aber irgendetwas hielt ihn zurück. Und er konnte den Blick nicht von dem Grabstein wenden. Zum ersten Mal ging ihm auf, wie jung Evelyn gestorben war. Nicht einmal dreißig war sie geworden und hatte ihr Leben mit Rache und Hass vergeudet. Verbitterung und Kummer befielen ihn, und seine Augen brannten, bis die Tränen kamen. Er weinte um Evelyn Mortmain, betrauerte sie wie seine eigene Mutter! Wie, zur Hölle, war es möglich, dass er wie Rafe Mortmain empfand?
Endlich konnte er sich lösen, und prallte gegen eine alte Eiche. Er wischte sich über das Gesicht und versuchte noch einmal angestrengt, sich an die Ereignisse am Vorabend von Allerheiligen zu erinnern. Ein Abend wie dieser, mit wilden Windböen und einem Gewitter, das sich in der Ferne zusammenbraute ...
Rafe war, dem Sterben nahe, zu ihm gekommen ... Valentine hatte versucht, ihm zu helfen, ihm die Schmerzen zu nehmen ... und dabei war es zwischen ihnen zu einem Austausch gekommen ... Nicht nur der Kristallsplitter hatte den Besitzer gewechselt.
Valentine hatte das ungute Gefühl, dass seine Seele nicht mehr ihm allein gehörte!
Val war nicht da.
Kate lief mit klopfendem Herzen den Weg hinunter und versuchte, keine Panik zu bekommen. Sein Hengst war am Friedhofstor angebunden und stampfte unruhig mit den Hufen.
Der Arzt würde sein Pferd nie so zurücklassen, erst recht nicht, wenn sich ein Unwetter ankündigte. In ihrer Not war Kate zum Pfarrhaus gelaufen, aber Mr. Trimble hatte sich über ihre Frage sehr erstaunt gezeigt. Dr. St. Leger, nein, den habe er den ganzen Tag noch nicht zu Gesicht bekommen.
Auch im Dragon's Fire wusste niemand Bescheid. Genauso wenig wie in Effies Cottage. Wo mochte Val bloß stecken?
Als sie sich auf den Weg zum Schieferhaus machte, kam ihr Jem Sparkins entgegen, der ebenfalls nach seinem Herrn suchte.
»Das sieht dem Doktor gar nicht ähnlich, nein, tut es nicht, den ganzen Tag zu verschwinden, ohne jemandem nie nicht Bescheid zu sagen«, teilte Jem ihr mit sorgenzerfurchter Stirn mit. »Bei allem, was recht ist, Miss, Master Valentine benimmt sich die ganze Zeit nicht so, wie man ihn kennt, nee nicht.«
Kate konnte ihm nicht in die Augen sehen, weil sie genau zu wissen glaubte, wer für diesen Wandel verantwortlich war. Ihre Wege trennten sich. Während Jem die Straßen außerhalb des Dorfes absuchen wollte, kehrte die junge Frau zur Kirche zurück.
Dort angekommen, fiel ihr ein, dass sie noch gar nicht im Gotteshaus nachgesehen hatte. Das kleine Steingebäude wirkte aber viel zu düster und still, als dass sich jemand darin aufhalten mochte.
Wollte sie denn lieber hier draußen
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