Stachel der Erinnerung
höflich.
„Danke. Beratungen über Beratungen, eine langweiliger als die andere“, antwortete er und sah unauffällig zu Tessa, die seinen Blick ebenso unauffällig erwiderte. Er räusperte sich. „Habt ihr alles, was ihr braucht?“
„Ich fürchte, eine Verstrebung an der Rückwand des Hauses hat sich gelöst. Ich zeige sie dir“, sagte Tessa und lehnte den Besen in eine Ecke. Ohne auf Meldis zu achten, ging sie an Nick vorbei und bedeutete ihm dabei mit Blicken, ihr zu folgen.
Schweigend umrundeten sie das Haus. Kaum, dass sie außer Sicht waren, wirbelte Tessa herum. „Kaldak ist hier“, flüsterte sie hektisch. „Ich habe ihn gesehen. Du …“
„Ich weiß“, unterbrach er sie. „Er hat sich in der Schmiede niedergelassen. Er sagt, er fertigt Schwerter, die den Besitzer unbesiegbar machen.“
Tessa riss die Augen auf. „Das ist es also! Oh mein Gott.“ Ihre Hand fuhr zur Kehle. „Ich wusste, dass er etwas im Schilde führt.“
„Wovon sprichst du?“
„Ich habe einmal beobachtet, wie in der Nacht ein Fremder zu ihm kam und ein Schwert abholte. Er ließ etwas zurück, aber was es war, das weiß ich nicht. Auf jeden Fall trug Kaldak es in den Wald und ließ es dort. Und ich bin fest davon überzeugt, dass dieses Ding lebte – zumindest, als der Fremde ankam.“
Sie hob die Hand und strich ihm die Zöpfchen aus dem Gesicht. Er hielt ihre Hand fest. „Wir müssen reden. Komm zu mir, wenn Meldis schläft.“
„Wenn uns jemand sieht …“
„Egal. Mir wird schon eine Ausrede einfallen. Aber komm, es ist wichtig.“
Tessa seufzte. „Ich weiß. Gut. Ich werde versuchen, mich davonzuschleichen, wenn Meldis eingeschlafen ist.“
„Einverstanden.“ Er küsste die Innenseite ihres Handgelenks und ließ sie los, ehe sie den Arm wegziehen konnte. „Ich warte.“
Die Öllampe neben der Tür flackerte, als sich Tessa heimlich aus dem Haus stahl. Bis zum letzten Moment wartete sie darauf, dass Meldis sie zurückrief, aber nichts passierte.
Auf dem Weg zu Serres Haus begegnete ihr niemand, wie sie erleichtert feststellte, und Nick öffnete ihr die Tür, kaum dass sie geklopft hatte. Er zog sie an sich, und hielt sie kurz fest. Tessa legte die Hände an seine Brust, aber sie konnte ihn nicht wegstoßen, es fühlte sich einfach zu gut an. Also hielt sie still und genoss das Gefühl von Wärme, das sich in ihr ausbreitete, als er ihren Rücken streichelte.
„Ich habe dich vermisst“, murmelte er und Tessa hob den Kopf, um ihm eine passende Erwiderung zu geben. Das war ein Fehler, denn er küsste sie, sobald sie den Mund geöffnete hatte. Sie nahm sich vor, den Kuss unbeteiligt über sich ergehen zu lassen, aber ihr Körper hatte andere Pläne.
Ihre Arme schlangen sich ohne ihr Zutun um seinen Hals und sie presste sich an ihn. Als er ihren Mund freigab und seine Lippen über ihren Kiefer zu ihren Ohren wandern ließ, seufzte sie leise auf. „Wir müssen … über … Meldis … reden …“, brachte sie heraus.
„Ich weiß.“ Er hob den Kopf, ließ sie aber nicht los.
„Wirklich, Nick“, beharrte sie und machte sich frei. Sicherheitshalber brachte sie den Tisch als Barriere zwischen sich und ihn.
Natürlich bemerkte er ihre Absicht und verschränkte die Arme vor der Brust. „Was schlägst du vor?“ Seine ganze Haltung drückte Ablehnung aus.
„Ich weiß es doch nicht“, erwiderte sie unglücklich. „Mich hat fast der Schlag getroffen, als ich Kaldak hier gesehen habe. Es ist nicht möglich, er sollte …“
„Doch, es ist möglich. Schließlich haben wir Meldis daran gehindert, einfach davonzulaufen, wie es bei deinem ersten Besuch hier geschehen ist. Warum sollten sich nicht auch andere Dinge verändern? Das ist doch nur eine logische Schlussfolgerung“, fügte er hinzu. „So wie es aussieht, strebt das Schicksal der beiden danach, sich zu erfüllen.
„Aber wenn das so ist, dann haben wir überhaupt keine Garantien für Meldis’ Sicherheit. Nicht solange …“, sie stockte, aber Nick vollendete den Satz für sie: „Nicht so lange Kaldak am Leben ist.“
Als er den Satz ausgesprochen hatte, begriff er die ganze Tragweite der Situation. Tessas Gesichtsausdruck verriet, dass es ihr ebenso ging. „Du wirst ihn töten?“, fragte sie tonlos. „Wie?“
„Ich weiß es nicht.“ Das war stark untertrieben. Im Grunde hegte er Zweifel daran, ob er Kaldak überhaupt töten konnte. Wie hatte der Mann so treffend gesagt – du brauchst kein Schwert, du bist kein Krieger.
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