Stachelzart
Forschungskram. Ein Funkgerät gibt es dort auch nicht.“
Das hörte sich nicht sehr gut an. Niedergeschlagen setzte ich mich auf einen Baumstumpf und überlegte. Heute war Sonntag, wenn Donnerstag der Postbote kam, würde vielleicht ein Hubschrauber kommen und nach uns sehen. Das Dumme war nur, dass niemand so genau wusste, wo Vera und ich waren. Und Kay hatte auch niemandem gesagt, wo er hin wollte. Einzig die Besitzer unseres Hotels und Kays Pension würden sich vielleicht wundern, aber die Abwesenheit bestimmt auf das Unwetter schieben und telefonisch war niemand von uns zu erreichen. Es war wirklich zum Aus-der-Haut-Fahren! Fünf oder sechs Tage mit Vera und Kay auf so engem Raum zu verbringen, würde ich nicht überleben. Und das auch noch ohne Strom!
Plötzlich fiel mir noch etwas ein: „Sag mal, Sam hast du überhaupt genügend Essensvorräte für uns alle?“
„Ich fürchte nein!“
„Wie bitte? Was meinst du denn damit?“
„Naja, ich habe eigentlich immer einige Lebensmittel in der Tiefkühltruhe, aber da diese ohne Strom nicht funktioniert, sind die Sachen aufgetaut. Das meiste können wir wegwerfen. Ich habe noch Nudeln, Reis und einige Konserven in der Vorratskammer. Das reicht für uns vier vielleicht für drei Tage. Wenn wir Fleisch haben wollen, müssen wir wohl jagen gehen.“
„Also ich gehe bestimmt nicht jagen. Ich töte keine Tiere.“ Ich überlegte kurz. „Ich kenne mich aber mit Pilzen aus. Ich könnte welche für uns suchen gehen.“
Tatsächlich war ich seit ich am Rande von Berlin wohnte, zu einer echten Pilzkennerin geworden. Der Wald nahe dem ehemaligen Grenzstreifen war ein richtiges Pilzparadies. Ich hatte dort schon oft Pilze gesammelt und mir daraus schmackhafte Gerichte gekocht. Bestimmt gab es hier auch Pilze.
„Gute Idee. Das kannst du morgen gerne machen. Wir müssen die Arbeit ein bisschen aufteilen, dann geht die Zeit schneller um.“
Ich nickte. Ich würde mir die Zeit schon irgendwie vertreiben. Vielleicht sollte es so sein, dass ich hier in der Einöde festsaß und dieser Ort inspirierte mich wirklich zu einem neuen Roman. Ich fragte Sam, ob er irgendwo einen Stift und einen Schreibblock für mich hätte. Sam bejahte meine Frage und wollte wissen, ob er mir das Gewünschte nach draußen bringen sollte. Ich hätte ihn knutschen können, für so viel Feingefühl. Scheinbar hatte er gespürt, dass ich Kay und Vera aus dem Weg gehen wollte. Sam verschwand im Haus und kam kurze Zeit später mit einem Kugelschreiber und einem DIN A4 Schreibblock zurück.
„Deiner Mutter scheint es ja wieder richtig gut zu gehen“, grinste Sam. „Sie hat sich gleich bei mir beschwert. Über das kalte Wasser, den nicht vorhandenen Strom und darüber, dass ihr noch niemand ihre Wäsche reingeholt hat. Wenn ich dich sehe, soll ich dir ausrichten, dass du ins Haus kommen sollst.“ Sam grinste verschwörerisch. „Ich habe ihr gesagt, ich hätte keine Ahnung, wo du bist. Und dann habe ich sie einfach stehen lassen.“
„Danke“, ich grinste zurück.
„Ist deine Mutter immer so anstrengend?“, wollte Sam wissen.
„Ja, leider“, antwortete ich.
„Armes Mädchen“, bemitleidete er mich. „Falls du ein bisschen Ruhe brauchst, halte ich dir den Rücken frei. Wenn du ein Stück den Hang hinaufkletterst, findest du dort eine kleine Parkbank. Die habe ich selbst gebaut. Von dort oben hat man einen schönen Blick ins Tal. Dort sitze ich immer gerne und lasse die Seele baumeln.“
Ich bedankte mich erneut und machte mich bewaffnet mit Block und Kugelschreiber auf den Weg. Nach ungefähr 5 Minuten Fußweg erreichte ich die Parkbank. Sam hatte nicht übertrieben, die Aussicht war wirklich atemberaubend. Von dieser Seite aus war von den Verwüstungen durch den Erdrutsch nichts zu sehen. Dafür ging es steil bergab. Ein wenig zu steil für meinen Geschmack. Meine Höhenangst verbot mir den Blick über die Bergkante. Ich nahm lieber in sicherer Entfernung vor dem Abgrund auf der Bank Platz. In Stichworten notierte ich die Handlung meiner Romanidee, dann machte ich mich an die Ausarbeitung der Charaktere.
Ich war so in meine Ideen versunken, dass ich Kay gar nicht hatte kommen hören.
„Hey, Baby, was machst du?“
Ich zuckte zusammen. „Verdammt … jetzt habe ich vergessen, was ich schreiben wollte“, schimpfte ich. „Was willst du hier?“
„Mich um meine Patientin kümmern. Aber wie ich sehe, kannst du ja schon wieder ganz gut sitzen!“
Mein Gesicht wurde schon
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