Stadt der Lügen
zischte eine Frage in mein Ohr. »Diese Leute sind fantastisch«, sagte er. »Wer sind sie?«
»Wem sehen sie denn ähnlich?«, fragte ich zurück.
»Ist doch klar, wem sie ähnlich sehen. Genauso klar ist, wem du ähnlich siehst. Aber du hast ein Engagement und trittst damit auf. Was tun diese Leute, außer sich so anzuziehen wie ihre Idole? Vermutlich eröffnen sie Altersheime und Kaufhäuser. Aber was arbeiten sie tagsüber?«
Ich drehte mein Glas auf dem Tisch und sah dem Eis beim Kreiseln zu. »Ich möchte versuchen, dir etwas zu erklären«, begann ich, aber er unterbrach mich, ehe ich weitersprechen konnte.
»Warte.« Er zeigte auf den Kellner, der uns bedient hatte. »Ich weiß, wer das ist.« Er öffnete und schloss einige Male den Mund, während er nach dem Namen suchte – dann fiel er ihm ein. »Es ist ›Cuddles‹ Sakall! Er hat in all diesen alten Filmen mitgespielt, zum Beispiel auch in Casablanca. Und das hier …« Er blickte sich um, betrachtete die Wände, die Decke, alles. »Du liebe Zeit, das hier ist die Kulisse für den Film. Das ist Ricks American Bar, zumindest sieht es ganz danach aus. Irgendwie kam es mir gleich ziemlich bekannt vor, aber ich habe es jetzt erst gemerkt … Und schau mal – schau mal da drüben … da kommt Ingrid Bergman mit … Henry Fonda!«
Er hatte Recht. Allmählich wurde es voller. Ich sah George Sanders mit Veronica Lake und einem Rotschopf, den ich zunächst nicht einordnen konnte, bis mir einfiel, dass es sich nur um Lucille Ball handeln konnte. David Niven und Errol Flynn kamen, und alle umarmten und küssten sich, als hätten sie sich monatelang nicht gesehen. Gary Cooper und Marlene Dietrich hatten es sich an der Bar bequem gemacht, und in einer Ecke gewahrte ich Spencer Tracy, der mit Peter Lorre und Sidney Greenstreet Karten spielte.
Christopher war hingerissen. Er saß da und ratterte Namen herunter wie in einem alten Radio-Hörspiel – Sie kennen doch sicher diese Imitatoren, die immer etwa so anfangen: »Gestern war ich auf einer Party in Hollywood, und was glauben Sie, wen ich da getroffen habe? Hier kommt schon einer von ihnen«, und dann beginnen sie, die Stimmen nachzumachen.
Das Radio spielte in meinen jungen Jahren eine große Rolle für mich. Ich war ein Einzelkind und zu jung fürs Fernsehen, also hörte ich viel Radio. Meistens Musik. Aber das ist lange her. Allerdings wissen die meisten Leute nicht, dass ich den Film über das Radio entdeckt habe. Meistens saß ich am Fenster, starrte in das traurige, weite Ödland draußen und lauschte dem Programm über die neuesten Filme der Woche. Damals hatte ich weder je einen Film noch ein Kino gesehen. Aber ich hörte den Auszügen zu, die im Radio gespielt wurden, und mir fiel auf, dass Filme anders klangen als alles, was ich sonst kannte. Um die Worte herum war eine Art Raum, die ich von Hörspielen her nicht gewöhnt war. In einer Filmsequenz konnte man hören, wie die Leute herumgingen und bestimmte Dinge taten. Wenn gesprochen wurde, merkte man immer, ob der Sprecher sich draußen oder in einem Raum aufhielt, ob es ein großer oder ein kleiner Raum war, und ob er sich in der Nähe oder weit weg befand. Manchmal hörte man sogar das Rascheln der Kleidung, wenn jemand aufstand und sich durch ein Zimmer bewegte. In den Hörspielen sollte es sich zwar auch so anhören, als würden die Leute hin und her gehen und Sachen machen, aber man merkte sofort, dass sie nur vor einem Mikrofon standen und sprachen, während im Hintergrund jemand Türen öffnete oder mit einem Schuh auf etwas klopfte, um Schritte zu imitieren. Es hörte sich nie echt an. In den Filmen hingegen klang alles echt. Sogar echter als im richtigen Leben.
»Je länger man sie ansieht«, hörte ich Christopher sagen, »desto klarer wird, dass es sich nur um Doppelgänger handelt. Aber das ist ganz natürlich. Sieh dir zum Beispiel diesen Typen dort an, der den Bogey gibt. Also er ist wirklich unglaublich nah dran, aber eben doch nicht hundertprozentig.«
Ich gluckste vor mich hin. »Lass dir eines sagen, mein Junge.« Ich nickte. »Ich kenne Bogey. Eigentlich kenne ich alle hier mehr oder weniger. Jede Ähnlichkeit lässt zu wünschen übrig, wenn man lange genug hinschaut. Ganz egal, wie berühmt sie sind – wenn du sie kennen lernst, beginnen sie nach einer Weile, ein bisschen wie jemand auszusehen, den du irgendwann in einem Film gesehen hast. Aber nur ein bisschen.«
»Ich verstehe, was du meinst«, sagte er, »und ich will
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