Stadt der Lüste
anzusehen, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie sie strukturiert wurden. Da Jane noch nicht da war, trat sie selbstsicher an Nicolas Schreibtisch heran.
»Guten Morgen, Nicola«, begrüßte sie die jüngere Kollegin.
Nicola machte ein finsteres Gesicht und warf einen abschätzigen Blick auf Emmas Kleid. Alles an ihr rief Emma stumm »Du Flittchen!« entgegen.
»Hallo«, erwiderte sie tonlos.
»Ich würde mir gern die Unterlagen zu ein paar Auslandstransaktionen ansehen. Jane hat mir erzählt, dass du sie ordnest und abheftest. Ich möchte mir einen Überblick darüber verschaffen, wie diese Abteilung der Agentur arbeitet.«
»Wir brauchen keine Hilfe«, entgegnete Nicola knapp.
»Ich will nicht in eure Abteilung einsteigen, sondern nur lernen, wie sie funktioniert.«
»Ich weiß, worauf du aus bist«, sagte Nicola leise.
Emma hob die Augenbrauen und überlegte, was Nicola meinte.
»Du glaubst wohl, dass du hier direkt eine Abteilung übernehmen kannst, oder?«, fuhr Nicola fort. »Dass du einfach nur hier reinzumarschieren und ein paarmal mit den Wimpern zu klimpern brauchst und alle sofort tun, was du sagst. Ich bin wichtig in dieser Abteilung, und daran wirst auch du nichts ändern. Wenn du irgendwelche Unterlagen haben willst, dann frag Jane.«
Emma beugte sich zu Nicola hinunter und sah ihr in die Augen. »Nicola, wenn ich deinen Job haben wollte, hätte ich ihn schon längst. Soweit ich das beurteilen kann, machst du deine Sache hier gut – vermassle es nicht wegen ein paar dämlicher Unterlagen. Du hast einen Ehemann und einen Liebhaber, um die du dich kümmern musst, also hör auf, dir auch noch um mich Gedanken zu machen. Wenn du mir die Unterlagen nicht gibst, frage ich Catherine. Du hast die Wahl.«
Sie richtete sich auf. Ein gelassenes Lächeln umspielte ihre Lippen, als wären Nicola und sie gute Freundinnen, die sich einfach nur miteinander unterhielten.
Nicola starrte sie an und spielte nervös mit einer Büroklammer.
»In etwa einer Stunde habe ich eine Besprechung mit einem Kunden. Danach hätte ich die Unterlagen gern auf meinem Schreibtisch. Vielen Dank, Nicola«, sagte Emma und ging in Richtung Küche, ohne eine Antwort abzuwarten.
In der Küche wechselte Ian Cameron gerade den Tank des Wasserkühlers.
»Man muss ihn so einsetzen, dass man die Aufschrift sehen kann«, erklärte er ihr mit ernstem Gesichtsausdruck. »Malcolm steckt ihn einfach irgendwie drauf, und das hasse ich.« Er plazierte den Tank und ließ ihn einrasten. »Soll ich dir einen Kaffee einschenken?«, fragte er Emma und nahm die Kanne von der Warmhalteplatte.
»Ja, vielen Dank.«
In der Kaffeemaschine lief gerade eine zweite Kanne Kaffee durch, und auf einem Post-it stand: »Kundenkaffee – Finger weg!«
Ian bemerkte, dass sie die Notiz las. »Ich muss einen Zettel daraufkleben, sonst ist der Kaffee schneller aufgetrunken, als ich gucken kann. Außerdem benutzen wir für Kunden eine bessere Marke, aber das darfst du keinem verraten.«
»Bist du hier der offizielle Kaffeekocher?«, fragte sie.
»Irgendjemand muss es ja machen. Und die anderen sind offenbar nicht in der Lage, die Kaffeemaschine zu bedienen.«
»Ich bin gar nicht so schlecht im Kaffeekochen«, bemerkte sie und wollte ihm von einem Café in derNähe des Times Square erzählen, wo es fantastischen Latte macchiato gab. Gerade noch rechtzeitig hielt sie sich zurück. »Ich versuche es beizeiten mal.«
»Emma, wegen neulich Abend«, stieß er hervor.
»Ist schon in Ordnung, Ian. Es hat mir geschmeichelt, ehrlich, aber ich habe zurzeit jemanden. Trotzdem könnte ich in der Agentur einen Freund gebrauchen.« Sie lächelte ihm zu.
»Ich komme mir nur so dumm vor«, erwiderte er mit gesenktem Blick.
»Das musst du nicht. Versprich mir, dass du nicht mehr darüber nachdenkst, okay?«
»Okay«, sagte er.
Nachdem Emma an ihren Schreibtisch zurückgekehrt war und sich vergewissert hatte, dass niemand sie beobachtete, schrieb sie die Namen und Adressen der Mitarbeiter sowie der Agentur selbst auf, damit Tom die entsprechenden Informationen sammeln konnte. Unter die Liste schrieb sie noch: »Deine Mutter freut sich über eine schnelle Antwort.«
Zwischendurch warf sie immer wieder einen Blick auf das Post-it an ihrem Bildschirm, auf dem stand, dass Matt angerufen hatte. Sobald sie mit dem Brief an Tom fertig war, rief sie Matt zurück und verabredete sich mit ihm für den Abend. Er klang sehr zurückhaltend, als wolle er sie nicht bedrängen. Vor
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