Stadt, Land, Kuss
neckte ich sie, um sie ein wenig aufzuheitern. »Mit deiner Mütze siehst du aus wie ein Fan von Cambridge United.«
»Vielen Dank auch. Du bist mir eine tolle Freundin«, brummte sie unbeeindruckt, zog sich die Pudelmütze über die Ohren und warf einen wie ich hoffte neiderfüllten Blick auf mein beschichtetes Basecap und den College-Schal, für die mein gesamtes Budget für das restliche Semester draufgegangen war.
»Wenigstens bin ich ehrlich«, sagte ich grinsend und versetzte ihr einen freundschaftlichen Stoß. »Ist das die Scheune da hinten? Hinter dem Tor?«
»Vermutlich.« Emma seufzte. »Glaub mir, es gibt ungefähr tausend Dinge, die ich an einem solchen Tag lieber tun würde, als meine Hebammenkünste zu trainieren.«
»Was denn zum Beispiel?«
»Mich drinnen zusammenrollen, Marshmallows ins Feuer halten und fernsehen«, antwortete sie, als wir in der kathedralengleichen Stille des fallenden Schnees auf die Scheune zustapften, und ich muss zugeben, dass diese Vorstellung durchaus etwas Verlockendes hatte, während ich die Hände tiefer in meinen Taschen vergrub.
Wir mussten uns mit ganzer Kraft gegen das Scheunentor stemmen, um es aufzuschieben, ehe wir ins Innere gelangten, wo uns lautes Blöken und Hufgetrappel empfingen. Wir zogen die Tür hinter uns wieder zu, und ich fand den Schalter für die Neonbeleuchtung. Als ich den Schnee von meinen Stiefeln stampfte, stürmten die Mutterschafe in der ersten Box ängstlich in die hinterste Ecke davon. Nur eines blieb zurück, das einzige schwarzgesichtige Suffolk-Schaf in einer Herde Hybriden. Eine transparente grünliche Blase baumelte von den nassen Fellzotteln an ihrem Hinterteil herab. Sie spannte den Körper ein paar Mal an, aber nichts passierte.
»Oh, ich will hier nicht untätig rumstehen«, sagte Emma. »Ich halte sie für dich fest, während du dich obenrum freimachst.«
»Machst du Witze?«
Emma kicherte zum ersten Mal an diesem Tag. »Klar.«
Ich zog mich bis auf drei Schichten aus und wusch mir im schummrigen Licht eines kleinen, vom Rest der Scheune abgetrennten Raums, in dem es warmes Wasser gab, die Hände. Gleitmittel troff in zähen Fäden von den Fingern meiner Gummihandschuhe, als ich zurückkam. Ich kniete nieder, um das Mutterschaf zu untersuchen.
»Sollten wir nicht lieber jemanden anrufen?«, fragte Emma, während ich blind herumtastete und meine Finger erst einen Kopf, dann einen Nacken und Schultern, aber keine Beine berührten: Das Lamm steckte im Geburtskanal fest.
»Bis jemand hier ist, ist es zu spät.« Trotz der Kälte begann ich zu schwitzen. Alles hing von mir ab. Ich schloss die Augen und sah mein Vorlesungsskript vor mir. In den Text waren skizzenhafte Zeichnungen von Lämmern eingestreut, die im Bauch ihrer Mutter gefangen waren, und in ihren Sprechblasen stand: »Hilf mir.« »Wenn ich es zurückschiebe, müsste ich eigentlich seine Beine packen und herausziehen können. Was hältst du davon?«
»Klingt vernünftig. Zum Glück kennst du dich aus – alles, was ich übers Lammen weiß, steht auf ein paar DIN-A4-Seiten.«
»Das ist bei mir nicht anders.« Ich warf einen Blick auf das Gesicht des Mutterschafs, das ängstlich auf die nächste Wehe, die nächste Woge Schmerz wartete. Um ihretwillen musste ich handeln.
Ruhige, sichere Bewegungen, ermahnte ich mich, kein ungeschicktes Hantieren.
Nach fünf Minuten schwanden sowohl Ruhe als auch Sicherheit, und ich begann zu hantieren. Das Schaf blökte und bäumte sich auf. Der Kopf und die Schultern des Lamms und schließlich der Rest seines Körpers glitten zusammen mit einem Schwall Fruchtwasser heraus und landeten in einem blutigen Haufen auf dem Boden.
Emma und ich starrten es an.
»Atmet es?«, fragte Emma.
»Ich bin mir nicht sicher …«
»Ich glaube nicht«, sagte Emma drängend.
Ich säuberte Nase und Maul des Lämmchens, hob es hoch und schwang es an den Hinterbeinen herum, dann legte ich es zurück auf den Boden und rieb sein dampfendes lockiges Fell mit einer Handvoll Stroh ab. Plötzlich schüttelte es den Kopf und tat seinen ersten Atemzug. Seine Mutter hatte in der Zwischenzeit ein zweites Lamm zur Welt gebracht hatte, das von Emma wiederbelebt wurde, und ich kümmerte mich um ein drittes, das kurz danach kam.
»Arme Maus«, bemerkte ich, »stell dir vor, du müsstest dich um diese Rasselbande kümmern.«
»Und du willst Tierärztin werden?« Emma grinste. »Falls du es noch nicht gemerkt hast, Maz, das ist ein Schaf.«
Das erstgeborene
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