Stadt, Land, Kuss
Lamm versuchte, sich aufzurappeln, und fiel dann vornüber zurück ins Stroh. Beim zweiten Mal setzte es sich auf den Hintern. Der dritte Versuch schließlich glückte, und auf wackligen Beinen stakste es auf seine Mutter zu, stupste ihren Euter an, umschloss eine der Zitzen mit dem Maul und begann schwanzwedelnd zu saugen.
Emma und ich saßen eine Weile auf Strohballen, beobachteten liebevoll unsere Babys und tranken mit nach Wollwachs riechenden Händen Kakao.
»Falls wir das Studium jemals lebend überstehen, eröffnen wir zusammen eine Praxis«, schlug Emma vor.
»Im Ernst?« Ich war gerührt, weil sie mich in ihre Zukunftspläne mit einschloss.
»Aber nur Kleintiere. Auf keinen Fall Schafe.«
»Wir werden ganz viel Spielzeug haben und einen Kaffeeautomaten«, sagte ich, von ihrer Begeisterung angesteckt, und vor meinem geistigen Auge sah ich uns schon gemeinsam über die Station in unserer eigenen Tierklinik gehen und nach unseren zahllosen Patienten sehen, die alle an geheimnisvollen, exotischen Krankheiten litten. (Obwohl ich viel Zeit bei Jack Wilson in der Arche verbracht hatte, war ich damals noch immer der Meinung, das Leben eines Tierarztes bestünde aus einer ununterbrochenen Folge aufregender Fälle. Erst später erkannte ich, dass die Behandlung der alltäglicheren Routinefälle und der immer enger werdende Kontakt zu den Patienten und ihren Besitzern in diesem Beruf die größte Freude schenkt.) In meinen Augen war es der perfekte Plan, und ich wünschte, ich wäre selbst auf diese Idee gekommen. Was könnte es Schöneres geben, als mit Emma zusammenzuarbeiten?
»Wir werden blaue Praxiskleidung tragen«, fuhr Emma fröhlich fort. »Grün steht mir überhaupt nicht.«
»Das ist mir egal, Hauptsache wir haben eine Zentralheizung. « Ich spürte meine Zehen nicht mehr. Ich schlüpfte aus meinen Gummistiefeln und legte die Füße um meinen Teebecher, um die Blutzirkulation anzuregen. »Wie lange müssen wir noch hierbleiben?«
»Noch ein paar Stunden.« Emma suchte unter ihren zahlreichen Ärmeln nach ihrer Uhr. »Das wird eine ziemlich langweilige Nacht, der Bock muss einen freien Tag gehabt haben. Das mit der Praxis, Maz – das meine ich ernst.«
»Ehrlich gesagt, ich habe noch gar nicht darüber nachgedacht, was nach der Uni kommen soll.« Ich hatte mich so sehr auf die beiden Ziele konzentriert, einen Studienplatz zu bekommen und meine Prüfungen zu bestehen, dass ich noch gar keine Gelegenheit gehabt hatte, Pläne für die Zeit nach dem Examen zu schmieden. Ich glaube, ich hatte mich immer als selbständige Tierärztin in meiner eigenen Praxis gesehen, genau wie Jack Wilson. Dass ich Emma und Ian kennengelernt hatte, hatte alles komplizierter gemacht, und ich spürte leises Bedauern darüber, dass die turbulenten Studienzeiten mit ihrer kameradschaftlichen Atmosphäre bald vorbei sein und das echte Leben beginnen würde. »Was ist mit Ian? Immerhin wohne ich praktisch mit ihm zusammen.«
»Ich weiß nicht, ob ich mit Ian zusammenarbeiten könnte«, meinte Emma.
»Du hast recht.« Obwohl ich ihn vergötterte, war ich nicht blind für seine Schwächen. »Alles müsste so laufen, wie er es gern hätte.«
»Er wird promovieren und Dozent werden«, entgegnete Emma. »Ich kann ihn mir nicht bei banalen Routinearbeiten vorstellen. Siehst du ihn etwa impfen oder Krallen schneiden?«
Ich schüttelte den Kopf. Ian hatte schon davon gesprochen, ein Jahr an eine ausländische Universität zu gehen und anschließend eine akademische Laufbahn einzuschlagen. Aber was sollte bei diesen Plänen aus mir werden? Aus uns? Wir waren seit über vier Jahren zusammen. War es Liebe? Ich zupfte Strohhalme aus dem Ballen, auf dem ich saß, und verstreute sie ringsum auf dem Boden. Damals hoffte ich, dass unsere Beziehung ewig halten würde.
Emma brachte die Teetassen zurück in den kleinen Nebenraum und kam mit dem Elastrator zurück, einem Gerät, das aussah, als hätte es sich ein Folterknecht im finstersten Mittelalter ausgedacht, um selbst dem störrischsten Gefangenen noch ein Geständnis abzupressen. Sie setzte sich hin und zog einen breiten Gummiring über seine metallenen Zähne.
In einem Winkel der Scheune nahe beim Tor raschelte etwas.
»Hast du das gehört?« Ich schlüpfte zurück in die Gummistiefel und stand auf.
Emma sah sich um. »Wahrscheinlich Ratten«, sagte sie, und ein leiser Schauer lief mir über den Rücken.
»Das müssen aber ziemlich große Ratten sein«, wandte ich zögernd
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