Stadt, Land, Mord - Granger, A: Stadt, Land, Mord - Mud, Muck and Dead Things
das mit den ausgestreckten Armen kaum bis zum Widerrist reichte, bürstete voller Elan eines der Tiere, ein kräftiges Pony. Die beiden anderen Pferde waren gesattelt und fertig zum Ausreiten, und ein großer, dürrer junger Mann wuchtete sich ungeschickt auf sein Tier. Das Pferd spürte seine Unerfahrenheit; es legte die Ohren an und stampfte mit den Hinterhufen. Die stämmige Frau, die es am Zaumzeug hielt, streichelte seinen Hals und redete beruhigende Worte, zuerst zum Pferd, dann zum Reiter.
»Ruhig, ganz ruhig … Alles in Ordnung bei Ihnen, Mr. Pritchard?«
»Ja, bestens, danke, Lindsey«, antwortete er eine Spur zu heiter.
Lindsey ließ das Zaumzeug los, und die Aura von Nervosität, die Mr. Pritchard umgab, wurde stärker.
Jess näherte sich der Frau namens Lindsey.
»Guten Morgen. Sind Sie die Inhaberin?«
Lindsey wandte ihr ein sommersprossenübersätes Gesicht zu. »Nein, das ist Penny. Penny Gower. Sie ist im Büro.« Sie deutete auf die letzte Box in der Reihe hinter ihr. »Geht es um Reitstunden oder um einen Stellplatz? Weil, wenn Sie sich nicht angemeldet haben …«
»Nein«, unterbrach Jess sie und zeigte ihren Dienstausweis.
»Oh. Richtig …«, sagte Lindsey. »Es geht um diese elende Geschichte oben auf der alten Farm, stimmt’s?«
Die Nervosität, die sich plötzlich in ihre Stimme geschlichen hatte, übertrug sich sogleich auf das Pferd des dünnen Anfängers, Mr. Pritchard. Es stampfte erneut mit den Hufen und tänzelte rückwärts.
»Hey!«, ächzte Pritchard erschrocken. »Ruhig. Ganz ruhig!«
»Keine Sorge, Mr. Pritchard, es ist nichts. Tätscheln Sie ihm den Hals.«
Pritchard beugte sich ein wenig vor, sodass er den Hals des Tieres eben erreichen konnte, und tätschelte es nervös.
Irgendwie glaube ich nicht, dachte Jess, dass der gute Mr. Pritchard es bis zum Reiter des Jahres bringt.
»Und wer sind Sie?«, fragte sie die junge Frau.
»Lindsey. Lindsey Harper, Ma’am. Aber ich kann Ihnen nicht helfen«, fügte sie hastig hinzu. »Ich war am Freitag hier, aber nur, weil Mr. Pritchard eine Unterrichtsstunde wollte. Wir sind nicht in die Nähe der Farm geritten, nur dort hinten über die Felder.« Sie zeigte in die Ferne. »Ich komme auch nicht auf dem Heimweg dort vorbei. Tut mir leid.«
»Dann muss ich wohl ins Büro zu Miss Gower«, sagte Jess. Sie deutete auf die anderen Pferde. »Sind das die jeweiligen Besitzer beim Striegeln der Tiere?«
»Ja. Das sind unsere Pensionspferde. Die meisten Besitzer kommen am Wochenende hier heraus. Unter der Woche kümmern Penny und ich uns um die Tiere. Wir haben außerdem noch zwei Reitpferde, die Penny gehören. Das hier ist eines davon.« Sie zeigte auf das Pferd mit Mr. Pritchard im Sattel.
Lindsey drehte sich zu dem zweiten gesattelten Tier um und legte stolz die Hand auf die Mähne. »Und das hier ist mein alter Bursche. Ich habe ihn hier stehen, und er macht sich nützlich, ist es nicht so, eh?«
Das Pferd schwang den Kopf in ihre Richtung und stieß mit der Schnauze sanft gegen ihre Schulter.
»Er wird ungeduldig«, sagte Lindsey taktvoll.
»Sicher. Lassen Sie sich von mir nicht aufhalten.« Jess lächelte Mr. Pritchard ein letztes Mal zu, bevor sie in Richtung »Büro« davonging.
Mr. Pritchard, als Reaktion auf das Lächeln und das gezeigte Interesse, hielt die Zügel nonchalant in der Rechten und stemmte die Linke mit ausgestelltem Ellbogen auf den Oberschenkel, eine Pose, wie sie Kavallerieoffiziere in alten Illustrationen einzunehmen pflegten. Sein Versuch, einen schneidigen Eindruck zu hinterlassen, war alles andere als überzeugend, doch so viel musste man ihm lassen: Er versuchte es zumindest. Wie auch immer, seine Bemühungen galten aller Wahrscheinlichkeit nach weniger Jess als vielmehr seiner eigenen Beruhigung.
Als Jess vor dem Büro angekommen war, vernahm sie Stimmen. Sie war nicht die erste Besucherin, und wer immer die Person war, sie klang schrill. Dass das Büro früher auch als Stallbox gedient hatte, war an der geteilten Tür zu erkennen, deren beide Hälften an der Wand festgehakt waren. Jess wich dem verbeulten Eimer aus, der vor dem Eingang lag, und klopfte zaghaft an, bevor sie eintrat.
Nach dem hellen Sonnenschein draußen war es hier drin beinahe stockdunkel. Es gab kein Fenster – das einzige Licht kam durch die Tür hinter ihr. Jess stand blind wie ein Maulwurf da, während sie darauf wartete, dass sich ihre Augen an das Dämmerlicht gewöhnten. Ein Geruch nach Schweiß und Leder stieg ihr
Weitere Kostenlose Bücher