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Stadtfeind Nr.1

Stadtfeind Nr.1

Titel: Stadtfeind Nr.1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Tropper
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Ästhetik irgendwie unterstreicht. Sie sieht mich, und ihr zögerndes Lächeln schwindet, als ihr Blick auf meine blauen Flecke und geröteten Augen fällt, die von dem absurden Weinkrampf, den ich eben hatte, noch immer ein bisschen wund sind. Einen Augenblick lang scheint es, als sei sie drauf und dran, auf dem Absatz kehrtzumachen und das Weite zu suchen, aber dann winkt sie mir mit dem Blumenstrauß zu, und ein leises, ironisches Grinsen zieht sich über ihr Gesicht, als sie näher kommt. Hinter ihrem Lächeln schimmert aufrichtige Wärme, und ich sehe sie an und stelle befriedigt fest, dass in ihren Augen immer noch diese kleinen gelben Tupfer liegen. Ich verspüre ein vertrautes Flattern in der Brust, einen höchst irrationalen Ausbruch von Euphorie. Bevor ich weiß, was ich tue, trete ich einen Schritt vor und umarme sie fest.
    Ich will, dass diese Umarmung ewig anhält. Ich will, dass sie eine dieser leidenschaftlichen, sich langsam aufbauenden Kino-Umarmungen ist, die unbeholfen anfangen, aber dann, wie auf ein nonverbales Stichwort hin, ein Eigenleben entwickeln, wenn den Gefühlen dahinter auf einmal freier Lauf gelassen wird und wir einfach ineinander verschmelzen und all die Entfernung und die schlechten Erinnerungen zwischen uns außer Stande sind, dem epischen Ausmaß dieser allumfassenden Verbindung zwischen uns standzuhalten. Eine Nichts-zählt-ab-genau-dieser-Augenblick- Umarmung . Doch nach ein oder zwei Sekunden steht fest, dass diese Umarmung ihr Maximum bei unbeholfen erreicht hat.
    Carly atmet leise aus, sichtlich verblüfft, erholt sich aber rasch und erwidert meine Umarmung. »Du siehst toll aus«, sage ich und trete einen Schritt zurück, als ich sie loslasse.
    »Du nicht«, sagt sie, noch immer grinsend, und reicht mir die Blumen.
    Wir lächeln, und für ein paar Sekunden ist es tröstlich, genau wie in alten Zeiten, aber dann wird es seltsam, also wende ich den Blick ab und danke ihr für die Blumen. »Sie sind für deinen Dad.« »Ja. Natürlich.«
    »Natürlich«, wiederholt sie verlegen, und jetzt kann ich jeden Tag der Jahre spüren, die wir nicht in Verbindung geblieben sind. »Wie geht es ihm?«
    »Nicht gut«, sage ich. Selbst unter dem ungünstigen Stern einer ernsten medizinischen Krise ist der Smalltalk kränkend für mich, ein Zollstock für die unermessliche Distanz zwischen uns, Kieselsteine, die man in einen bodenlosen Brunnen fällen lässt, während man darauf wartet, von unten ein schwaches Platschen zu hören. »Ich denke an dich«, sage ich, und meine Stimme, die in letzter Zeit so unzuverlässig ist, stolpert über die Schwelle des letzten Wortes.
    »Viel.«
    »Diese Wirkung habe ich auf viele Männer«, sagt sie, und wir lächeln, nicht über ihren Witz, sondern deswegen.
    »Wie ist es dir denn ergangen?«, sage ich.
    »Gut, denke ich«, sagt sie, wobei sie über die erbärmliche Nichtswürdigkeit dieser Frage gleichzeitig den Kopf schüttelt und die Augenbrauen hochzieht. Als könnten zehn Jahre in eine kurze Antwortformel gepresst werden. Als würde sie es auch nur versuchen wollen.
    »Ich denke, ich meine, wie geht es dir denn? Wie geht es dir wirklich?«
    »Gut«, sagt sie. »Hatte hier und da ein paar Pechsträhnen. Achtundneunzig war ein besonders übles Jahr, aber inzwischen geht's mir wieder gut. Und dir?« »Ich bin offenbar ein umstrittener Romanautor.« Sie lacht. »Ausgerechnet du solltest wissen, dass man nicht alles glauben soll, was man liest.« »Hast du den Artikel geschrieben?« »Ich habe ihn redigiert. Der erste Entwurf war ... etwas krass formuliert.«
    »Das kann ich mir vorstellen«, sage ich. »Sie werfen Bücher auf mein Haus.«
    Carly lacht. »Das dürfte der Buchklub gewesen sein. Sie haben sich gestern Abend getroffen und beschlossen, dir deine Exemplare en masse zurückzugeben. Wie viele hast du denn bekommen?« »Drei oder vier.«
    »Dann werden wohl noch mehr kommen.« »Hey«, sage ich. »Hast du je das eine bekommen, das ich dir geschickt habe?« Ich hatte ihr eines der ersten Exemplare von Bush Falls geschickt, die aus dem Druck kamen.
    »Habe ich«, sagt sie. »Ich habe an dem Wochenende das ganze Buch gelesen.« »Oh. Gut.«
    »Ich wollte dich danach anrufen«, sagt sie, und ihre Stimme verliert sich. Ich mache eine wegwerfende Handbewegung. »Das habe ich nicht von dir erwartet«, lüge ich. »Ich wollte nur, dass du eines bekommst, von mir.«
    »Nein, das wollte ich wirklich. Ich habe damals etwas durchgemacht, etwas Schlimmes, und

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