Stadtfeind Nr.1
anzog. »Bin gleich wieder da«, sagte ich.
»Ich halte dir deinen Platz warm.« Sie streckte sich auf dem Bett aus und bot mir einen uneingeschränkten Blick auf ihren nackten Körper, der in der verschwitzten Nachglut unseres Liebesspiels noch immer glänzte. »Joe.«
»Ja.«
»Ich liebe dich.«
»Ich dich auch.«
Mein Lächeln schwand, als ich die Tür aufmachte und Sammy sah, der auf den Stufen vor dem Haus saß und mit seinen Wagenschlüsseln spielte. »Hey, Joe«, sagte er und stand auf. »Ich dachte nicht, dass du zu Hause bist.«
Warum bist du denn dann geblieben? »Wie geht's?«, sagte ich.
»Ganz okay.«
»Das ist gut. Was gibt's?«
»Was gibt's?«, wiederholte er und dachte über die Frage nach. Er trug Jeans und eine blaue Windjacke, und sein Haar lag fettig und schlaff an seiner Kopfhaut und war in letzter Zeit ganz offensichtlich nicht in den Genuss einer Dusche gekommen. Am Rand seines Kinns und unter den Koteletten sah ich ein paar kleine, asymmetrische Flecken dunkler Bartstoppeln, in meinen Augen der erste Beweis, dass Sammy tatsächlich im Stande war, sich Gesichtshaar wachsen zu lassen. »Ich weiß eigentlich nicht, was es gibt«, sagte er. »Ich saß in meinem Zimmer und hörte ungefähr zum tausendsten Mal >Bobby Jean<, und ich bekam einfach keine Luft mehr. Ich musste einfach raus aus dem Haus.«
»Warum >BobbyJean«
»Hast du je auf den Text geachtet?«
»Vielleicht. Ich weiß es nicht.«
Sammy schenkte mir sein übliches verächtliches Stirnrunzeln, das er sich für die Banausen vorbehielt, die die komplexe Schönheit von Springsteen nicht wirklich zu schätzen wussten. »In dem Song geht es um einen, dessen bester Freund die Stadt verlässt, ohne sich zu verabschieden«, sagte er. »Du solltest es dir irgendwann mal wieder anhören.«
»Vielleicht werde ich das tun.«
Sammy nickte, tief in Gedanken verloren. »Joe«, sagte er, »bevor das alles passiert ist, waren wir doch Freunde, oder?«
»Na klar.«
»Und warum sind wir es dann jetzt nicht mehr?«
Die krasse Direktheit seiner Frage überrumpelte mich, und ich musste für eine Minute den Blick abwenden, bevor ich antwortete. »Ich weiß es nicht. Ich habe versucht, dein Freund zu bleiben«, sagte ich, aber meine Worte klangen selbst in meinen eigenen Ohren verlogen.
»Hasst du mich?«
»Natürlich nicht.«
»Ich könnte es nämlich verstehen, wenn du es tun würdest«, sagte Sammy. »Ich wäre nicht damit einverstanden, aber ich würde es verstehen.«
Ich seufzte tief. Ich wollte in diesem Augenblick nicht darüber reden. »Ich hasse dich nicht, Sammy.«
Er sah mir eindringlich in die Augen, als versuchte er, das Ausmaß der Wahrheit hinter meiner Aussage zu erfassen. Nach ein paar Augenblicken nickte er. »Gut«, sagte er. »Ich denke nämlich, zurzeit könnte ich es nicht ertragen, von dir gehasst zu werden.«
»Lass es mich wissen, wenn der Zeitpunkt günstig für dich ist«, sagte ich und grinste ihn mit etwas Verspätung übertrieben breit an, damit er merken würde, dass ich einen Witz gemacht hatte.
Er lächelte. »Werde ich tun.« Er wandte sich ab, um die Stufen hinunterzusteigen, hielt auf halbem Weg inne, schien noch etwas sagen zu wollen, brach dann ab und sah zu mir hoch. »Weißt du, ich hatte nie vor, so zu sein«, sagte er zögernd.
»Wie zu sein?«
Er lächelte und fuhr mit einer Hand durch die Luft, um auf sich selbst zu zeigen. »So. Eine Schwuchtel. Glaub mir, ich habe mich eine ganze Weile verdammt angestrengt, keine zu sein. Selbst als wir hierher zogen, dachte ich immer noch, vielleicht könnte ich mich in einer neuen Stadt, in der mich niemand kennt, ändern.« Er schenkte mir ein dünnes, verlegenes Lächeln. »Natürlich konnte ich das nicht«, sagte er. »Und Wayne auch nicht.«
»Ich glaube nicht, dass sich Wayne wirklich sicher ist, was er ist oder nicht ist«, sagte ich etwas defensiver, als ich beabsichtigt hatte. »Ich denke, er ist vermutlich irgendwohin gegangen, um sich über all das klar zu werden.«
Sammy sah mich einen langen Augenblick an und schüttelte dann den Kopf. »Wenn Wayne sich nicht sicher wäre, dann wäre Wayne nicht gegangen«, sagte er.
»Was auch immer«, sagte ich und wechselte rasch das Thema. Ich wollte nicht hören, wie sich Sammy wie ein Fachmann über meinen besten Freund äußerte. »Wohin fährst du?«
»Ich weiß nicht«, sagte er schulterzuckend. »Ich denke, ich werde einfach ein bisschen durch die Gegend kurven.« Er sah die Stufen zu mir
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