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Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen

Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen

Titel: Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Armistead Maupin
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dumme Bemerkung über einen schwulen Gast gemacht. Er hat einen Aidswitz erzählt. Ich wollte nicht so doll zuschlagen. Aber er hat’s schon den ganzen Tag drauf angelegt …«
    »Warum hast du mir nichts davon gesagt?«
    Er zuckte mit den Schultern. »Hätte ich ja noch. Ich wollte uns bloß das Wochendende nicht vermiesen.«
    Sie blinzelte ihn an.
    Da er immer noch nicht ganz sicher war, fragte er sie noch einmal: »Sie haben mich also gefeuert?«
    »Ja.«
    »Tut mir leid, daß du es abgekriegt hast.«
    »Er hat es auf die nette Art gemacht«, sagte sie.
    Ein kleiner Junge und sein Vater, beide mit leuchtendroten Haaren, marschierten durch sein Blickfeld zu den Umkleidekabinen. Der Junge stolperte über die Schnürsenkel seiner Turnschuhe, und sein Vater blieb stehen, um sie ihm zu binden. Der Anblick gab Brian einen Stich und verstärkte seine Sehnsucht nach dem einen, was ihm in seinem Leben fehlte.
    »Erde an Brian, Erde an Brian.« Mary Ann, ein versonnenes Lächeln im Gesicht, holte ihn in die Realität zurück.
    »Entschuldige«, sagte er. »Was soll ich sonst sagen?«
    »Sag nicht Entschuldigung. Sag mir die Wahrheit. Mein Gott, Brian, wenn wir nicht miteinander reden können, mit wem dann?«
    Er nickte und spürte, wie die Last seiner Schuld von ihm wich. »Du hast recht.«
    »Es geht nicht nur dir so.«
    »Wie meinst du das?«
    »Na ja … ich tu’s manchmal auch nicht.«
    »Was?«
    »Du weißt schon … die Wahrheit sagen. Ich unterschlage mal was, weil ich Angst habe, unsere Beziehung könnte einen Knacks kriegen … und weil ich dich nicht verlieren will.«
    Er war ganz gerührt, denn soweit er wußte, hatte sie ihn nie belogen, und es gab keinen Grund für ein solches Geständnis. Was sie ihm hier verdeutlichte, waren nicht so sehr ihre eigenen Beweggründe – sie gab ihm vielmehr zu verstehen, daß sie die seinen nachempfinden konnte. Er legte die Hand an ihre nasse Wange und lächelte sie an. Sie streckte ihm die Zunge raus, tauchte unter und kitzelte ihn zwischen den Schenkeln. Die Krise war vorüber.
    Beim Abendessen stellte er fest, daß Mary Ann mehr Wein trank als sonst, aber er hielt Glas für Glas mit. Als die Himbeeren mit Schlagsahne serviert wurden, strahlten ihre beiden Gesichter wohlig betütelt im Kerzenschein. Sein Instinkt sagte ihm, daß dies der richtige Augenblick war, um wieder auf das Thema Nummer eins zu kommen.
    »Weißt du, ich hab den Job gehaßt.«
    Sie griff über den Tisch und streichelte ihm den behaarten Handrücken. »Ich weiß.«
    »Früher oder später hätte ich sowieso gekündigt. Daß es jetzt so gekommen ist … ist gar nicht schlecht.«
    Sie wartete eine Weile, ehe sie etwas sagte. »Eigentlich tut es mir irgendwie leid, daß ich nicht dabei war. Du hast uns doch hoffentlich keine Schande gemacht?«
    Er schüttelte den Kopf.
    »Alle Ehre?«
    Er wiegte den Kopf hin und her, um anzudeuten, daß es irgendwo dazwischen lag. »Und jetzt«, sagte er leise, »hab ich jede Menge Zeit.«
    Ihr Lächeln wurde starr. Sie wußte genau, was er damit sagen wollte.
    »Du hast gesagt, ich soll dir die Wahrheit sagen«, sagte er.
    Sie nickte. Ihr Lächeln war verschwunden.
    »Ich finde, John Lennon ist als Hausmann ganz gut klargekommen … und ich wette, er hat sich für den Kleinen viel mehr Zeit genommen als Yoko …«
    »Brian …«
    »Ich sag ja nicht, daß du das Kind nicht gern hättest. Ich meine bloß, du bräuchtest dich nicht soviel um den Balg zu kümmern wie ich. Mensch, Frauen hatten jahrhundertelang die Hauptlast zu tragen. Warum soll es nicht klappen, wenn wir die Rollen mal tauschen. Verstehst du das nicht? Wär doch toll, so was Kleines zu haben, das … eine Mischung aus dir und mir ist?«
    Ihre Miene war unergründlich, als sie ihre Serviette auf den Tisch legte und aufstand. War sie sauer? Dachte sie, er hätte sich nur deshalb feuern lassen, um sie in die Enge zu treiben? »Was ist mit unseren Himbeeren?« fragte er.
    »Ich hab keinen Hunger mehr«, antwortete sie.
    »Bist du … böse?«
    »Nein.« Sie ließ den Blick über die Nachbartische wandern. »Ich hab diesen Ausflug mit dir gemacht, weil ich dir was sagen wollte. Aber nicht hier.«
    »Gut. Kein Problem.« Er stand auf. »Und die Rechnung?«
    »Wir sind eingeladen«, sagte sie.
    Als sie wieder im Zimmer waren, putzte sie sich die Zähne und sagte, er solle seine Windjacke anziehen.
    »Wo gehn wir hin?« wollte er wissen.
    »Wart’s ab«, sagte sie.
    Sie zog eines von seinen alten karierten Hemden

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