Stahlfront 1: Die Macht aus dem Eis
in einen Krieg ziehen würde, wenn seine hanebüchene Geschichte wahr wäre. Ich bin glücklich mit meiner Frau und meinem kleinen Sohn. Und nach zehn Jahren in der Hölle Sibiriens will ich jetzt endlich leben. Vom Krieg habe ich ein für allemal die Schnauze voll.
Hahne komplimentierte mich aus dem Wagen und fuhr in die dunkle Nacht hinaus. Ich hoffe, ich sehe ihn niemals wieder.
Wittmann hätte diesen Abschnitt mit Erheiterung gelesen, wäre da nicht mit einem anderen Stift und offenbar Jahre später eine Randbemerkung hinzugefügt worden:
Diese Hoffnung hat sich nicht erfüllt, und heute weiß ich, daß er recht hat. Es tut mir leid, wie hochmütig ich ihn damals abgekanzelt habe, denn er ist ein aufrechter Mann. Mein Leben wäre anders verlaufen - besser! -, hätte ich nur 1955 schon den Mut gefunden, ihm zu glauben.
Er las es, aber er konnte es nicht glauben - wollte es nicht glauben! Außerirdische? In einem geheimen Krieg mit deutschen Truppen? So etwas konnte doch nur dem kranken Gehirn eines Wahnsinnigen entsprungen sein! Aber Baumbach hatte nicht wie ein Wahnsinniger gewirkt. Wie ein Fanatiker, ja -doch nicht wie ein Irrer. Andererseits.
Magnus wollte am liebsten gleich die letzte Kladde öffnen, um zu sehen, wie die Geschichte ausging, aber er zwang sich dazu, weiter chronologisch vorzugehen.
Die folgenden Einträge waren wieder alle rein privater Natur , beschrieben das kleine Glück und die kleinen Probleme eines kleinen Buchhalters und seiner kleinen Familie. Am 7. und am 9. Juni 1956 allerdings beschrieb Baumbach schwere Unwetter über Berlin, und bei dem zweiten hatte er für einen kurzen Moment einen kreisförmigen Gegenstand am Himmel zwischen den Gewitterwolken erhascht. Eine Flugscheibe der AIn, der Außerirdischen Intelligenzen?
Zuerst hatte er das für möglich gehalten, aber dann hatte er sich schnell klargemacht, daß die »Flugscheibe« nur ein Gebilde seiner Phantasie und eine Folge der unheimlichen Begegnung vom Januar sei. Interessant war allerdings auch bei diesem Eintrag eine später hinzugefügte Randbemerkung: Ist es nicht beängstigend, wie einfach das menschliche Gehirn in der Lage ist, sich selbst etwas vorzumachen und die Wahrheit ins Reich der
Phantasie zu verdrängen, wenn es unterbewußt erkennt, wie schrecklich die Wahrheit ist?
Er überflog die folgenden Einträge in beinahe fiebriger Hast, aber sie boten nichts weiter als beschämende Einblicke ins kleinbürgerliche Milieu. Baumbach merkte nicht, wie sich seine Frau immer mehr von ihm entfernte und fiel deshalb aus allen Wolken, als sie im Sommer 1958 mit einem schwarzen Besatzungssoldaten, der seinen Dienst in Berlin beendet hatte, in die USA ging. Der Buchhalter war zutiefst verletzt und getroffen -weniger darüber, daß seine Frau ihn verlassen hatte, sondern vor allem deshalb, weil »sie es mit einem Nigger trieb«, wie er es formulierte.
Alles klar , Alter, dachte Wittmann voller Verachtung, einmal Rassist, immer Rassist. Du erwartest hoffentlich nicht, daß ich Mitleid mit dir habe!
Ihren Sohn hatte die Frau nicht mitgenommen, und so blieb Baumbach mit einem Halbwüchsigen zurück, den er kaum kannte und der in ihm immer den fremden Mann gesehen hatte, der plötzlich bei ihm und seiner Mutter eingezogen war. Die Tagebücher der nächsten 15 Jahre berichteten von einem fast schon klassischen Vater-Sohn-Konflikt. Der Junge wuchs zu einem kleinen dunkelhaarigen, leicht pummeligen jungen Mann heran, der äußerlich gar nichts mit seinem Vater gemein hatte. Mehr als einmal fragte sich Baumbach, ob sein Sohn nur nach seiner Mutter kam oder auch nach jemand anderem, den er nicht kannte. Das änderte aber nichts an seinen Gefühlen für den jungen Mann, obwohl der auch innerlich so ganz anders war als sein Vater.
1964 begann er sein Studium in Berlin - wie selbstverständlich auf Vaters Kosten. Zuerst schrieb er sich für Physik ein, stieg aber schon nach einem Semester auf Soziologie und Politikwissenschaften um. Immer häufiger kam es zu Konflikten mit seinem Vater, den Baumbach junior offen als Nazi beschimpfte. Der Senior hingegen war offenbar nicht in der Lage, die Einstellung seines Sohns zu begreifen: Er sah sich nach wie vor als unpolitischer Soldat, der nichts anderes getan hatte, als seine Pflicht zu erfüllen.
1971 kam es zum endgültigen Zerwürfnis zwischen Vater und Sohn, der schon lange ausgezogen war, aber immer noch fleißig Unterhalt kassierte. Als der Vater diese Zahlungen einstellte, traf wenig
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