Stahlfront 4: Verrat um Thule
-aber ja, es gibt sie auch hier !«
»Doch ich habe noch nie eine solche Person gesehen !« stieß Manfred mit Schrecken im Blick hervor. »Keinen Säufer, keinen Penner, keinen Gammler. was macht ihr mit all diesen Leuten ?«
Jetzt ging Magnus ein Kronleuchter auf. »Hast du etwa gedacht, solche Zeitgenossen würden hier eiskalt beseitigt, nur weil man ihnen nicht gestattet, die anständigen Bürger zu piesacken ?«
Manfred sagte nichts, aber man konnte seinem Gesicht ansehen, daß er an Konzentrations- oder gar Todeslager dachte. Er wirkte so verkniffen in all seinem demonstrativ zur Schau getragenen Gutmenschentum, daß Magnus beinahe laut losgelacht hätte.
Aber er beließ es bei einem leisen Lächeln und sagte im Tonfall eines Lehrers, der einen unaufmerksamen Schüler tadelt: »Manfred, ich muß zu meinem Bedauern feststellen, daß du dich nicht wirklich umfassend über deine neue Heimat informiert hast, obwohl du schon genausolange hier bist wie Mike und ich - und obwohl das Sammeln von Informationen doch zu den vornehmsten Aufgaben eines Journalisten gehören sollte. Bevor du dich weiter künstlich aufregst, empfehle ich dir, im Thule-Netz mal nach dem Stichwort >Blumental< zu suchen. Das ist eine Siedlung für jeden, der keine Lust hat, nach unseren Regeln zu leben und sich lieber nach seinen eigenen richten möchte. Thule zwingt niemanden zu irgend etwas . In Blumental darf ein jeder so leben, wie er es möchte.
Nachdem die Existenz des Reiches kein Geheimnis mehr ist, wurde den Bewohnern Blumentals das Angebot gemacht, unsere Welt zu verlassen. Aber keiner von ihnen wollte gehen. Wenn du mir nicht glaubst, kannst du dich gern selbst in Blumental umsehen, kein Problem. Viele Schulklassen machen sogar Ausflüge dorthin .«
Manfred erkannte, daß er einen Fehler gemacht hatte, und entspannte sich wieder. Er nahm sich allerdings fest vor, seinen eigenen Ausflug nach Blumental zu machen, um sich selbst ein Bild von der Situation dort zu verschaffen.
Heinrich brachte ein angenehmeres Thema zur Sprache: »Einen Fehler hat das Reich Thule auf jeden Fall! Diese Kommißköppe weigern sich doch strikt, mich weiter Dienst tun zu lassen. Und das nur, weil ich 85 Jahre auf dem Buckel habe. Daß ich nach meiner Spezialbehandlung besser drauf bin als so mancher alte Sack in der Truppe, der nur noch seiner Pensionierung entgegendämmert, war diesen einfältigen Paragraphenreitern einfach nicht klarzumachen.
Die haben mir meinen seit 1945 ausstehenden Sold nachgezahlt, und meine hübsche Pension als Stabsfeld gibt es obendrein. Da sitze ich nun mit mehr Geld, als ein vernünftiger Mann jemals brauchen könnte, und soll die nächsten 50 Jahre Däumchen drehen, wenn es nach den Etappenhengsten geht!
Aber nicht mit mir, hat sich meiner Mutter Sohn gesagt. Und so habe ich auf meine alten Tage beschlossen, doch noch etwas völlig Neues anzufangen. Ich habe mich mit einem Projekt selbständig gemacht, von dem irgendwann vielleicht sogar die Thule-Truppen profitieren können. Ihr dürft mir gratulieren, Freunde - ich bin jetzt selbständiger Unternehmer !«
Das kam wirklich überraschend, schließlich hatte Heinrich die letzten 66 Jahre seines Lebens mit mehr oder weniger eintönigem Wachdienst verbracht.
»Du hast eine Firma aufgemacht? In welcher Branche? Was produzierst du ?« Wie stets war Manfred der neugierigste von allen.
»>Firma< wäre zuviel gesagt«, beruhigte Heinrich die Gemüter. »Ich sagte doch, es ist eher ein Projekt .«
»Keine Haarspaltereien. Worum geht es bei diesem Projekt ?«
»Das zu erklären überfordert meine rhetorischen Fähigkeiten .«
Martina grinste still in sich hinein, weil Heinrich es wie ein Schulbube genoß, seine Freunde auf die Folter zu spannen.
»Warum kommt ihr nicht einfach alle am nächsten Samstag bei mir vorbei und seht euch das Projekt mit eigenen Augen an? Dann ist es leichter zu erklären - und ihr könnt bei der Gelegenheit auch gleich Martinas Kinder kennenlernen. Na, was meint ihr ?« Heinrich sah erwartungsvoll in die Runde.
»Das klingt für mich nach einer erstklassigen Herrenpartie«, verkündete Mike. »Wo finden wir denn dein ach so geheimnisvolles Projekt ?«
»Natürlich am Stadtrand von Rommelburg. Wie wär's? Kann ich am kommenden Samstag mit euch rechen ?«
*
Der folgende Freitag war der 24. Juni 2011. Es war ein ganz gewöhnlicher Frühsommertag im Reich Thule, doch er sollte in die Annalen eingehen als »der Tag, an dem alles begann«.
Aber
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