Stahlhart
Begleitung eines jungen Mannes. Er war viel zu jung für sie und seine Kleidung entsprach nicht Brittas Stil. Rainer traf es wie mit der Keule. Er taumelte regelrecht. Erinnerungen kamen hoch. Diese Szene kannte er. Ohne bemerkt worden zu sein, tastete er sich rückwärts zur Tür und verließ das Lokal. Er schleppte sich ans Weserufer. Im Moment konnte er keine Empfindung feststellen, so tief saß der Schock. Lange stand er unterhalb der Stefaniebrücke. Düstere Visionen tauchten in seinem Gehirn auf. Ich ahnte es, ich wusste es. Wer telefoniert jeden Abend, den ganzen Abend mit seiner Familie? Rainer ging, in sich zusammengesunken, vom Weserufer ziellos die Straßen entlang.
Er schleppte schwer an dem Wenigen, das er in der Tasche bei sich trug. Die Gedanken wirbelten konzeptlos durch seinen Kopf. Zwischen ihnen war es doch harmonisch gewesen. Kurz vor Reisebeginn hatte Britta ihm zum ersten Mal gesagt, dass sie ihn liebe. Dann muss er ein paar Tage beruflich weg und sie sitzt am Freitagabend mit einem anderen Mann zusammen. Was war falsch gelaufen? Britta hatte gar keinen Grund. Selbst wenn sie der Beziehung überdrüssig geworden wäre, hätte sie schließlich was sagen können, anstatt ihn derart vorzuführen. Hatte sie einen Anlass, ihn dermaßen zu demütigen? Sie musste doch damit rechnen, gesehen zu werden. Sie musste damit rechnen, dass jemand aus Rainers Kollegen- oder Bekanntenkreis sie in der Öffentlichkeit antraf und Rainer alles brühwarm erzählte. Er ging in ein geöffnetes Lokal in der Knochenhauerstraße und setzte sich ganz weit hinten in eine dunkle Ecke. Kaffee und Cognac sollten ihn wieder etwas zur Ruhe bringen, aber der gewünschte Effekt trat nicht ein. Rainer spürte Tränen, aber auch Wut in sich aufsteigen. Er war nur ein Spielball einer reichen Schnepfe geworden, ganz so, wie er es am Anfang einen Moment überlegt hatte. Verwöhnt und einsam. Nur, dass sie eben nicht verheiratet war. Das machte die Sache für sie einfacher und eleganter. Er bemerkte kaum etwas von dem, was um ihn herum vorging. Der aufkommende Groll bescherte Rainer wieder einen klaren Kopf. Er musste nach Berlin zurück. Da in Bremen Nachtflugverbot herrschte, ging es nur per Bahn. Rainer trank aus und marschierte Richtung Bahnhof, der nicht weit entfernt lag.
Es fuhr noch ein ICE. Er kaufte sich die Karte, bestieg den Zug und ließ die Schmach des Abends hinter sich. Er redete sich ein, dass es vielleicht sogar gut für ihn sei, wenn er allein blieb. Wenn es mit der neuen Aufgabe klappte, konnte er sowieso keine Partnerin gebrauchen, weil er viel unterwegs wäre. Sie würde nur seine Karriere behindern, jetzt, wo er auf dem steilen Weg nach oben war. Bei diesen Gedanken liefen Rainer die Tränen über die Wangen.
Das Hotel war durchgehend geöffnet. Der Portier sah einen sichtlich zerschlagenen Gast, reichte aber ohne nachzufragen den Zimmerschlüssel.
»Es gab ein paar Anrufe für Sie.«
»Etwas Wichtiges?«
»Nein, ich glaube, es war privat.«
»Danke. Bitte stellen Sie ab jetzt keine Anrufe mehr durch. Ich muss mich aufs Schreiben konzentrieren, da kann ich keine Störung gebrauchen. Nur wenn meine Zeitung anruft, können Sie weiterleiten.«
»Sehr wohl. Gute Nacht.«
Rainer schlich nach oben. Im Zimmer ließ er die Tasche fallen und warf sich aufs Bett. Er weinte nun hemmungslos, bis er in einen unruhigen Schlaf fiel.
Am nächsten Morgen setzte er sich hin und versuchte zu schreiben. Sein Beruf durfte nicht noch einmal unter seiner privaten Krise leiden, so schwer das auch fallen mochte. Sonst wäre er weg vom Fenster. Da das Schreiben nicht recht klappte, dafür waren seine Gedanken noch zu konfus, machte Rainer einen Spaziergang. Er ließ sich einfach treiben, suchte sich dann ein Taxi und fuhr zum Kudamm. In der Menschenmenge wollte er auf andere Gedanken kommen. Dort musste er sich zusammenreißen. Doch trotz der vielen Leute, trotz freundlicher Ansprachen an ihn, fühlte sich Rainer hilflos, leer, einsam. An Essen war nicht zu denken.
»Es gab erneut etliche Anrufe«, empfing ihn der Portier. »Immer die gleiche Dame.«
»Vielen Dank, aber Sie wissen ja. Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie mir den Rücken freihielten. Momentan kann ich keine Unterbrechung gebrauchen.«
»Sehr wohl.«
Rainer ging auf sein Zimmer und ließ sich wieder aufs Bett fallen. Später versuchte er, sich an seinen Artikel zu setzen, aber relativ erfolglos. Rainer rief Roland Ernst an, um ihm von seiner erfolglosen
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