Stalingrad
Teufel weiß es … Anscheinend nicht viele. Sitzen in den Unterständen, das Grammophon spielt unsere ›Katjuscha‹.«
Tschumak wühlt in den Taschen.
»Schreiben Sie nicht Gedichte?«
Seine schwarzen Augen mit der goldenen Umrandung sehen mich spöttisch unter dem Haarschopf hervor an. »Nein. Warum denn?«
»Wollte Ihnen einen Füllfederhalter schenken. Guter Füller. Und Spezialtinte, in einem Fläschchen.«
»Nein, ich schreibe nicht.«
»Schade. Und ich dachte, daß Sie schrieben. Sie haben so ein poetisches Aussehen.«
Er dreht in den Händen einen hübschen Füllfederhalter mit Malachitverzierungen und steckt ihn dann in die Tasche. »Wir haben dort einen Fritzen kaltgemacht, der Posten stand.«
Ich rufe den Stab an, teile mit, daß der Spähtrupp zurückgekehrt ist.
Walega schenkt mir Wodka ein. Ich mag eigentlich nicht, trinke dennoch an zweihundert Gramm. Tschumak lacht ironisch:
»Damit den Soldaten lustiger zumute ist?«
Ich antworte nichts. Suche meine Maschinenpistole.
Karnauchow macht sich auch fertig. Tschumak kaut an seiner Zigarettenspitze.
»Weit?«
»Nein, nicht sehr.«
»Auf die Anhöhe zu gehen, würde ich nicht empfehlen.
Hier ist es gemütlicher.«
Ich wecke den Nachrichtenleiter. Er ist also nicht fortgegangen. Er zwinkert verständnislos mit seinen noch vom Schlaf trüben Augen.
»Übernimm hier das Kommando an meiner Stelle, ich gehe.«
»Wohin?«
»Dorthin.«
An seinen Augen sehe ich, daß er nichts versteht. »Bleibt hier bei meinem Stabschef Charlamow. Wenn ihr seht, daß es uns schlecht geht – eröffnet das Feuer.« Er steht auf und reibt sich eilig mit den Fäusten die Augen. »Gut …«
Ich kenne ihn kaum, habe ihn nur einmal während einer Besprechung bei Borodin gesehen. Man sagt, daß er ein gescheiter Bursche sei. Oberleutnant. Hat Kurse an der Akademie absolviert.
Walega will auch gehen. Aber es ist wohl nicht ratsam. Er hat sich den Fuß verstaucht und hinkt schon seit drei Tagen. »Wie denn, wie denn?« Er blickt mich verständnislos an mit seinen kleinen, unzufriedenen Augen unter der runden, gewölbten Stirn.
Ich schiebe das Magazin in die Maschinenpistole. »Vielleicht wollen Sie noch was essen, bevor Sie gehen?
Ich habe Konserven, Schmorfleisch. Sie haben ja auch nicht richtig Mittag gegessen. Ich mache eine Dose auf.« Nein, ich mag nicht essen. Wenn ich zurückkomme, werde ich essen. Dennoch steckt er mir einen Kanten Brot und ein Stück Speck, beides in eine Zeitung eingewickelt, in die Tasche. Als ich noch zur Schule ging, steckte mir die Mutter auch im Gehen das Frühstück zu. Bloß damals waren es Brötchen oder Kringel, mittendurch geschnitten und mit Butter beschmiert.
10
Der »Kukurusnik« verspätet sich um zehn Minuten, die mir wie eine Ewigkeit erscheinen. Im Schützengraben darf man nicht rauchen. Man weiß einfach nicht, was man tun soll. Der Schützengraben ist eng, von der unbequemen Haltung schlafen die Füße ein. Ich kann mich gar nicht bequem einrichten. Ein nicht mehr junger Soldat, ein Sibirier, sitzt neben mir und knabbert an einem Zwieback. Heute ist wieder anstatt Brot Zwieback ausgegeben worden. Beim Schein der Raketen sieht man, wie sich die Muskeln auf seinen eingefallenen, unrasierten Wangen bewegen.
Karnauchow ist auf der rechten Flanke. Hier kommandiert der Zugführer Sendezkij, kein sehr kluger, aber ein tapferer Bursche. Auf dem »Metis« hat er die Deutschen nicht schlecht abgewehrt. War sogar verwundet, allerdings nur leicht, aber ins Lazarett ist er nicht gegangen.
Mein Nachbar hat aufgehört zu knabbern. »Hören Sie?« »Was?«
»Ist das nicht der ›Kukurusnik‹?«
Von der Wolga her knattert es, noch sehr weit entfernt.
Wir halten den Atem an. Das Geräusch nähert sich. Ja, das ist unserer. Fliegt direkt auf uns zu. Wenn er bloß nicht über uns abwirft. Zwischen uns und den Deutschen sind es nur siebzig Meter, nicht mehr. Vielleicht deckt er auch uns zu. Man sagt, daß sie einfach mit den Händen die Granaten abwerfen, gewöhnliche Granatwerfergeschosse.
Das Geräusch nähert sich. Ein aufdringliches, vertrautes Geräusch; es hat gar nichts Militärisches … »Kukurusnik«, »Russ-Fanjer« … Die Deutschen hatten sich zuerst über ihn lustig gemacht. Später aber begriffen sie, welchen Nutzen uns dieses billige, bequeme, anspruchslose Sperrholzflugzeug bringt. In den Zeitungen nennt man es »leichtmotoriger Nachtbomber«. Wie ein großer Käfer brummt es. Es gibt solche monotone Nachtkäfer,
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