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Stalins Geist

Stalins Geist

Titel: Stalins Geist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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mehr als Papier. Werden Sie hier Post bekommen?«
    »Nein, die geht ans Büro.«
    »Viel besser.«
    Sofia Andrejewna knöpfte sich den Mantel zu. Sie war abflugbereit.
    »Bevor Sie gehen«, sagte Arkadi, »ich habe den Namen des Professors nicht mitbekommen.«
    »Professor Golowanow. Er sagt immer gern, er hat eine russische Leber und einen französischen Magen. Ich bin in gewisser Weise selbst halb Russin und halb Französin.«
    »Polin?«
    »Ja.«
    »Ich dachte gleich, dass ich da etwas sehe. Ein gewisses Flair.«
    »Ja, ja.« Sie war entzückt, aber dann erstarrte sie, als draußen im Flur Schritte zu hören waren. Ein Zettel wurde unter der Tür hereingeschoben, und die Schritte entfernten sich. »Was ist das?«
    »Ein Flugblatt für eine politische Kundgebung.«
    Die eine Seite des Flugblatts versprach Musik und Clowns, auf der anderen war ein Foto von Isakow im Kampfanzug auf dem Kotflügel eines gepanzerten Mannschaftstransporters.
    »Politik.« Sofia spuckte das Wort aus, als wäre es schmutzig. »Natürlich müssen wir Ihre neue Adresse bei der Miliz melden. Da Sie Ermittler bei der Staatsanwaltschaft sind, überlasse ich das Ihnen.«
    »Selbstverständlich. »
    Arkadi verstand vollkommen. Manchmal war es besser, nicht allzu viele Fragen zu stellen. Zugegeben, es bestand die Möglichkeit, dass ein wiederbelebter Professor Golowanow weintrinkend und die Marseillaise singend aus einem Urlaub in Südfrankreich zurückkehrte. Trotzdem - Arkadi hatte noch selten gesehen, wie jemand mit solchem Elan das Gesetz brach.
     
    Es war ein angenehm frischer Tag, der eher zu Ostern als in den Winter passte, und die pastellfarbenen Mauern am Lenin-Platz leuchteten in der Sonne. Ein Balalaikaensemble spielte auf einer in den weiß-blau-roten Farben der russischen Flagge dekorierten Bühne. Clowns schwankten auf Stelzen umher. Teenager auf Inlineskates verteilten T-Shirts mit der Aufschrift: »Ich bin ein Russischer Patriot.« Freiwillige Helfer spannen Zuckerwatte in Rosa und Blau. Techniker verlegten Kabel, und alle paar Augenblicke gellte ein lautes Kreischen aus der Lautsprecheranlage. Eine auf einem Lastwagen montierte Videoprojektionswand erhob sich auf einer hydraulischen Hebevorrichtung hinter der Bühne, und auf einer Plattform davor arbeitete ein Kamerateam - Selenski führte die Kamera, Bora bediente den Mikrofongalgen. Selenski wirkte ausgemergelt wie immer, und Bora schien die Grenzen seiner technischen Fähigkeiten erreicht zu haben. Petja hockte mit einer Handkamera auf dem Boden neben der Plattform. Arkadi nahm eins der Patrioten-T-Shirts in Empfang. Das Foto von Isakow, das auf die Rückseite gedruckt war, sah aus wie eins, das er schon einmal auf einem anderen T-Shirt gesehen hatte, nur dass der Held jetzt eine Schaufel anstelle eines Gewehrs trug, und der Tigerkopf der OMON war durch einen roten Stern, eine Rose und ein drittes Element ersetzt, das Arkadi nicht identifizieren konnte.
    Es waren mehr Leute gekommen, als Arkadi erwartet hatte.
    Neben den üblichen Rentnern mit den stählernen Gebissen hatte die Kundgebung auch Kohlenbergleute und Veteranen aus den Kriegen in Afghanistan und Tschetschenien angelockt. Bergleute und Kriegsveteranen waren ernst zu nehmende Männer. Einige der Veteranen saßen im Rollstuhl, wodurch demonstriert wurde, dass Isakow ein Kandidat war, der sich nicht durch Tricks oder Bestechung vor dem Dienst am Vaterland gedrückt hatte. Dem Programm zufolge würden die Reden um ein Uhr mittags beginnen und ungefähr eine Stunde dauern. Um zwei sollten die Kandidaten der zweiten Reihe kommen, aber die Bühnentechniker kämpften immer noch gegen die Rückkoppelungen, und das Projektionsteam war noch dabei, den Bildschirmwinkel einzustellen. Trotzdem herrschte eine festliche Atmosphäre. Das Ereignis würde aufgezeichnet und nicht live gesendet werden. Niemand außer Arkadi achtete sonderlich auf die Zeit, aber Arkadi wollte ein Auto mit Nummernschildern aus Twer kaufen, bevor der Tag zu Ende ging. Ein weißer Schiguli mit Moskauer Kennzeichen war zu leicht zu verfolgen.
    Als die Zuschauermenge wuchs, verzog sich Arkadi an den Rand, sodass er auch hinter die Bühne blicken konnte. Zwei Wohnwagen, wie sie Schauspielern am Drehort zur Verfügung stehen, waren zu beiden Seiten des Videolasters geparkt. Der eine war für die zweitrangigen Kandidaten; die Russischen Patrioten konnten der Öffentlichkeit ein ganzes Dutzend davon präsentieren - Pappkameraden, die ihre Liste komplettierten.

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