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Stalins Geist

Stalins Geist

Titel: Stalins Geist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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aussteigenden Fahrgäste betrachtete, bevor sie ihr Angebot machte: » Wohnungen zu vermieten. Beste Auswahl garantiert.« Andere Makler trugen Sandwich-Plakate, aber das fand sie unter ihrer Würde. Arkadi hatte ihr auf den ersten Blick gefallen. Glatt rasiert, ohne erkennbaren Kater trotz des frühen Morgens. Und es gefiel ihr, dass er, obwohl er ein eigenes Auto hatte, zum Bahnhof gekommen war und nicht in ein stickiges, überteuertes Büro.
    Sofia Andrejewna zeigte ihm eine Ein-Zimmer-Wohnung mit dänischer Einrichtung und Wireless LAN und brachte ihn dann in ein geräumiges Apartment in der Sowjetskaja-Straße, dem zentralen Boulevard der Stadt. Für Arkadis Zwecke war beides nicht geeignet. Als sie die Sowjetskaja entlanggingen, überraschte Sofia Andrejewna ihn, indem sie beiläufig, aber gezielt gegen ein Tor spuckte. Bevor er sie nach dem Grund fragen konnte, sagte sie: »Es gibt noch eine Wohnung. Sie gehört einem guten Freund, der sich von der Universität hat beurlauben lassen. Er hat mich gestern angerufen und gesagt, angesichts des Euro-Kurses könnte er ein zusätzliches Einkommen gebrauchen. Wie auch immer - die Wohnung ist nicht für eine Besichtigung vorbereitet, und seine persönlichen Sachen sind überall verstreut, aber mit frischer Bettwäsche könnten Sie heute noch einziehen. Sprechen Sie Französisch?«
    »Nein. Ist das eine Voraussetzung?«
    »Keineswegs, keineswegs.« Sie seufzte. »Es ist nur - na ja, schade.«
    Die Wohnung lag im ersten Stock eines Wohnblocks, auf dessen Balkonen Wäsche flatterte. Der Hausflur war verdreckt, die Briefkästen standen offen. Aber die Wohnung beherbergte eine Fantasie. Plakate von Edith Piaf und Alain Delon hingen an den Wänden. Michelin-Führer füllten die Regale. Eine Packung Gitanes lag auf dem Schreibtisch, und der Geruch eines vergessenen Käses überlagerte alles. An der Tür musste Arkadi Pantoffeln anziehen.
    »Die Teppiche.«
    »Ich verstehe.« Es war nichts Ungewöhnliches, die Fußbekleidung zu wechseln, sofern Pantoffeln angeboten wurden.
    »Der Stolz und die Freude des Professors.« Sie zeigte auf den verschlissenen Teppich. »Ein eher unbedeutender Teppich, natürlich, aber mit dem Gehalt eines Professors erworben.« Sie schnupperte. »Was für eine Atmosphäre. Vielleicht wäre es eine gute Idee, ein Fenster aufzumachen.«
    Arkadi betrachtete ein Foto, auf dem ein Mann in mittlerem Alter posierte; er hatte eine Baskenmütze auf den Kopf gedrückt, und an seiner Unterlippe baumelte eine Zigarette. »Hat er Familie?«
    »Der Sohn des Professors ist Anarchist. Er reist in der Welt herum und protestiert gegen internationale Konferenzen, indem er Autos in Brand setzt. Beachten Sie den Fernseher und den Videorecorder. Zwei Schlafzimmer, ein Bad. Die Teppiche natürlich. Dusche und Küche sind renoviert. Gas und Strom sind vorhanden. Leider muss ich sagen, dass das Telefon abgemeldet ist, aber Sie haben ja zweifellos ein Handy. Jeder hat eins.«
    In ein so komplett eingerichtetes Apartment zu ziehen, das war, als trüge man die Kleider eines anderen. Ein Plus war, dass das Gebäude auf der anderen Straßenseite ein Bürohaus war und kein Nest mit neugierigen Babuschkas. Im Erdgeschoss gab es zwei Ausgänge, einen zur Straße und zum Carport und einen Hinterausgang, der in einen Hof mit Spielplatz und Fahrradständern führte. Auf der anderen Seite des Hofes war eine Reihe kleiner Geschäfte - ein Interneteafe, ein Bodybuildingclub und ein Schönheitssalon. An der Hintertür des Clubs lungerten zwei Männer in Jogginganzügen herum. Sofia Andrejewna war bereit, die Wohnung monatsweise zu vermieten, und zwar zu einem Bruchteil dessen, was ein Hotel kosten würde.
    »Es gefällt mir«, sagte Arkadi. »Ist damit zu rechnen, dass der Sohn plötzlich auftaucht?«
    »Das bezweifle ich. Er sitzt in Genf im Gefängnis. Falls es ein Problem gibt … » Sie riss eine Ecke von einer Zeitung ab und schrieb eine Telefonnummer auf. »Meine Visitenkarten sind noch in der Druckerei. Rufen Sie nur nachmittags an, und fragen Sie nach Dr. Andrejewna.«
    »Sie sind Ärztin? Zwei Berufe?«
    »Ich muss essen.«
    »Ich komme zu Ihnen, wenn ich mich erkälte.«
    »Das wollen wir um Ihretwillen nicht hoffen. Sind Sie verheiratet? »
    »Nein.«
    »Sie wissen es vielleicht nicht, aber Männer aus Amerika, Australien und der ganzen Welt kommen her, um russische Bräute zu finden. Ich glaube eigentlich nicht, dass wir einen schriftlichen Vertrag brauchen. Schlüssel wiegen

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