Star Trek - VOY - 014 - Das schwarze Ufer.rtf
»Unter solchen Umständen kann ich die Möglichkeit einer echten extrasensorischen Erfahrung nicht
ausschließen.«
»Oh«, sagte Neelix, und die Besorgnis kehrte in seine Züge zurück. Offenbar wünschte er sich, Kes’
Erlebnisse als bedeutungslosen Tagtraum abtun zu
können. Kes bewunderte seinen hartnäckigen
Optimismus, sah sich jedoch außerstande, einfach zur Tagesordnung überzugehen. Sie wußte nicht, welche
der beiden vom Doktor genannten Möglichkeiten ihr
lieber war. Sollte sie sich vor den Phantomen ihres
eigenen Geistes fürchten, oder hatte sie tatsächlich einen Ruf um Hilfe gehört? Sie versuchte sich
vorzustellen, welches unglaubliche Leid so gräßliche Schreie verursachen konnte. Wer oder was war in jener völlig lichtlosen, erstickenden Dunkelheit gefangen?
»Es ging dabei um mehr als nur die Stimmen«, fügte die Ocampa hinzu. »Mit meinen Augen war irgend etwas
nicht in Ordnung. Ich sah nur Finsternis, eine Schwärze, die mich zu zerquetschen schien. Sie hielt mich
gefangen, und ich konnte nicht mehr atmen.«
»Auch in diesem Fall ist es schwer, zwischen
hysterischer Blindheit und einem mentalen Angriff
irgendeiner Art zu unterscheiden«, dozierte der
holographische Arzt. Er verzog das Gesicht, und Kes
konnte sein Unbehagen nachempfinden. Sie wußte, wie
stolz er auf sein enzyklopädisches medizinisches
Wissen war; sicher frustrierte es ihn sehr, nicht zu einer besseren Diagnose imstande zu sein. »Nun, wenn man
den Umstand berücksichtigt, daß Sie beide nur jeweils einen Lungenflügel haben… Vielleicht sollten Sie
Tiefseetauchen von Ihren aktuellen Urlaubsplänen
streichen.«
»Keine Sorge, Doktor«, sagte Neelix. »Kes wird keine unnötigen Risiken eingehen, solange ich in der Nähe
bin.« Er half ihr vom Biobett herunter, und für ihre bloßen Füße fühlte sich der Duraniumboden sehr kalt
an. »Vielleicht sollten wir mit Tuvok über diese Sache reden. Er kennt sich mit Telepathie und dergleichen
aus.«
Kes hatte bereits daran gedacht. »Gute Idee.« Sie
faltete die Thermodecke zusammen und legte sie aufs
Biobett. Sofort bildete sich eine Gänsehaut an Armen und Beinen. »Aber ich wäre sehr dankbar, wenn ich
vorher trockene Sachen anziehen könnte.«
Chakotay dämpfte das Licht in seinem Quartier. Er
kniete auf dem Boden und breitete den Inhalt des
Medizinbeutels vor sich aus: die Feder einer Amsel,
einen glatten Stein und ein kleines elektronisches Gerät, Akoonah genannt. Er drückte sich den Apparat an die Stirn und schloß dann die Augen.
»Akoocheemoya« , intonierte er. »Ich bin fern von den heiligen Orten meiner Ahnen, fern von den Knochen
meines Volkes. Wir scheinen einen sicheren Ort
gefunden zu haben, aber trotzdem herrscht Unruhe in
mir. Ich möchte mich von dir führen lassen, wenn du
gestattest. Zeig mir die Wahrheit dieser Welt, damit ich jenen helfen kann, die mit mir zusammen reisen. Laß
mich die Antworten finden, die ich suche.«
Chakotay wußte nicht, warum er im Paradies von
Ryolanow nach der metaphorischen Schlange suchte.
Vielleicht lag es an den vielen Jahren beim Maquis und im Delta-Quadranten, am Verrat durch Seska und
andere Personen. Möglicherweise fiel es ihm dadurch
schwer, jemandem oder etwas zu vertrauen. Doch Dank
seiner Ahnen gab es immer noch einen Ort, den er
aufsuchen konnte, wenn Zweifel sein Denken und
Empfinden heimsuchten.
Er aktivierte das Akoonah . Elektrische Impulse stimulierten ruhende Bereiche des Gehirns und
reduzierten gleichzeitig die Quantität der übermittelten sensorischen Informationen. Vor vielen Generationen
hatten Chakotays Vorfahren psychoaktive Kräuter
verwendet, um die gleiche Wirkung zu erzielen. Das
Akoonah führte zum gewünschten Effekt, ohne den Körper mit irgendwelchen Chemikalien zu belasten. Die physische Welt wich zurück, und die innere Sphäre,
bestimmt von Symbolen und Geistern, dehnte sich
immer mehr aus. Der indianische Erste Offizier atmete langsamer, und das Herz schlug im Takt mit dem
ewigen Rhythmus der Schöpfung.
In seinem psychischen Kosmos – und vielleicht auch in der Wirklichkeit – öffnete er die Augen.
Eine öde Berglandschaft erstreckte sich vor ihm.
Nirgends sah er Bäume, Moos oder irgendeine Art von
Vegetation, die das düstere Panorama ein wenig
auflockerte. Kein Schnee bedeckte den zerklüfteten
Gipfel, und es wehte auch kein Wind, der im Lauf der Zeit die scharfen Kanten glättete. Es gab nur schwarzen Granit, der wie ein
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