Staustufe (German Edition)
festgenommen, wenn auch nicht direkt aufgrund Ihrer Angaben. Jetzt habe ich noch eine andere Frage. Kennen Sie die Inder, die ganz oben hier im Haus wohnen?»
«Vom Sehen.»
«Haben die ein Kind?»
«Ich weiß nicht recht. Eine indische Frau habe ich im Haus noch nie gesehen. Da oben wohnen ja bloß Männer, glaube ich. Aber manchmal, ganz selten, hat einer von denen ein Mädchen dabei. So zehn etwa oder höchstens zwölf. Jedenfalls kann ich mich definitiv erinnern, dass ich neulich einen der Inder ins Auto steigen sah, und im Fond saß ein Mädchen. Ich habe allerdings angenommen, dass das irgendeine Verwandte ist, keine Tochter.»
«Danke. Sie haben mir sehr geholfen.»
Im Treppenhaus sah Winter auf die Uhr. Er war knapp in der Zeit. Trotzdem stieg er noch einmal die Treppen hoch, nicht um bei den Indern zu klingeln – darauf wollte er sich besser vorbereiten. Vielmehr lauschte Winter an der Tür. Er hörte Wasser rauschen, dann leichte, kurze Trippelschritte im Flur. Das war garantiert kein erwachsener Mann. Nun klingelte er doch. Niemand öffnete. Genau das hatte er erwartet.
Die Spur war heiß. Die Aksoy hatte recht, man konnte die Beobachtung vor dem Supermarkt nicht einfach auf sich beruhen lassen. Winter hatte sich bei der Befragung der Männer damals richtig anschmieren lassen. Sie hatten ihn nur in die Küche gelassen. Das Mädchen musste die ganze Zeit still in einem der Zimmer gesessen haben.
Wäre die Aksoy hier, sie würde jetzt wahrscheinlich wegen Gefahr im Verzug die Tür öffnen. Doch Winter hielt das für übertrieben. Außerdem war er nicht zuständig.
Im Wagen zögerte er aber keine Sekunde und rief Till Engelhardt an, einen Kollegen vom K 11, der die zweite ständige Mordkommission leitete und mit dem er sonst nicht viel zu tun hatte.
«Hallo, Andi», begrüßte Engelhardt ihn. «Mensch, Glückwunsch zu allem. Wir bewundern hier alle, was du in den letzten zwei Wochen geleistet hast. Diese schwierige Geschichte mit dem Mädchen in Rekordzeit aufgeklärt, fast ohne Mitarbeiter, und nebenbei noch den entscheidenden Hinweis für die SoKo Krawatte geliefert. Unglaublich.» Winter grinste. Das ging ihm runter wie Öl. Wenigstens die Kollegen hatten mitbekommen, dass er auch ohne Gerd Toparbeit lieferte. Unterm Strich war auch die Zusammenarbeit mit der Aksoy prima verlaufen. Man hatte sich halt erst zusammenraufen müssen.
«Fast sieht es ja aus, als hättest du außerdem noch unseren alten Fall mit der Nieder Mädchenleiche gelöst», redete Engelhardt weiter.
«Hör mal, Till. Das ist genau der Grund, warum ich anrufe. Ich glaube ehrlich gesagt seit gestern nicht mehr ganz daran, dass unser Verdächtiger Stolze was mit dem alten Fall zu tun hat. Aber ich habe hier eine andere Spur, von der ich denke, dass ihr euch mal drum kümmern solltet. In einem der Griesheimer Häuser, wo wir zur Befragung waren, wohnen drei Inder. Die haben möglicherweise ein illegales, sehr junges Dienstmädchen bei sich wohnen. Genau wie die Geschädigte damals vielleicht eines war.» Nachdem Winter die Details erklärt hatte, versicherte Engelhardt, dass er sich der Sache annehmen werde. «Wir haben das Nieder Mädchen hier alle nicht vergessen», sagte er. «Da lassen wir keinen Hinweis ungeprüft, und sei er noch so klein.»
«Till, was ich übrigens machen würde …»
«Ja?»
«Ich würde den Indern erst mal ganz freundlich kommen. Jedenfalls wenn ihr keine Misshandlungen feststellt bei dem Mädchen, das sie bei sich haben. Ich würde ihnen erzählen, sie bleiben unbehelligt, wenn sie verraten, über welche Agentur oder welche Schleuser sie das Mädchen bekommen haben und wer ihres Wissens sonst noch solche Mädchen hat. Ist natürlich nicht ganz korrekt …»
«Das überlegen wir uns. Okay, Andi. Danke. Vielleicht fahren wir heute noch hin. Bei der SoKo Krawatte ist ja jetzt Alltag eingekehrt, seitdem klar ist, wer der Würger war.»
Damit war Winter die Verantwortung für das kleine Mädchen in der Haeussermannstraße los.
An der Uniklinik südlich des Mains verfranste sich das Navigationsgerät. Das Labyrinth aus tausend Gebäuden auf einem riesigen Areal neben der Stadt war verkehrstechnisch nicht gerade patientenfreundlich. Keine U- oder S-Bahn führte hin. Nicht mal Parkplätze gab es in ausreichender Zahl, und Winter musste von seinen Polizei-Sonderrechten Gebrauch machen.
Im Psychiatriegebäude, weiß und kubisch wie fast alles hier, schleuste man Winter durch mehrere verschlossene
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