Steels Duell: Historischer Roman (German Edition)
Nationen der vielsprachigen alliierten Armee eingefunden hatten: Engländer, Schotten und Dänen in hellroten Farben, Niederländer und Preußen in blauen Uniformen, daneben die Farben der kleineren Staaten. Über den Köpfen der Soldaten wehten die seidenen Fahnen der Standarten flatternd in der Sommerbrise. Trommler hatten sich am westlichen Rand des Platzes aufgestellt und erzeugten einen nahezu unerträglich lauten Rhythmus, mit dem sie beinahe die Jubelrufe der Menge übertönten, die sich vor den Häusern des Großen Platzes drängten. Denn ein jeder wollte einen besseren Blick haben.
Sie marschierten weiter über den Platz und passierten einen Adjutanten hoch zu Ross, der Steels Kompanie den richtigen Platz zuwies, wie vor den Horse Guards in London. So schnell und geschickt wie jedes andere Regiment der Armee lösten sie die Kolonne auf und bezogen in Reihen Aufstellung, links von den Guards. Steel beruhigte sein nervöses Pferd, indem er den Hals des Tieres tätschelte. Dann verschaffte er sich einen Überblick.
Links von den Trommlerburschen, vor dem Rathaus, hatte man eine Empore errichtet. Unter einem Baldachin aus rotem Samt saßen Herren in schwarzen Roben, offenbar Würdenträger der Regierung. Etwas weiter links von jener Gruppe saß der Oberbefehlshaber der alliierten Armee höchstpersönlich im Kreise seiner Berater. Einen Moment lang betrachtete Steel Marlboroughs gelassenes, wettergegerbtes Gesicht und fragte sich, wie es nur möglich war, dass ein Mann in wenigen Jahren so viel geleistet hatte. Die Franzosen waren auf der Flucht, Flandern und Brabant fast vollständig besetzt. Doch Steel wusste, dass dieser Krieg noch lange nicht vorüber war. Ludwig war noch nicht geschlagen. Welcher großartige Plan, so überlegte Steel weiter, mochte im Augenblick im Kopf des Herzogs reifen?
Auf der Empore hob Marlborough die Hand in Richtung der Menge, worauf die Leute erneut in Jubel ausbrachen. Hawkins wandte sich dem Herzog zu und sagte im Flüsterton: »Ihr seid der Retter dieser Menschen, Euer Hoheit.«
»So scheint es, Hawkins«, lautete die lapidare Antwort.
»Ich schlage vor, dass Ihr den Augenblick genießt, Sir. Denn ich fürchte, dass diese Stimmung womöglich nicht von Dauer sein wird.«
Marlborough zog die Stirn kraus. »Ja, dessen bin ich mir bewusst. Diese Zeremonien sind recht nett, aber das ist nicht der Krieg.«
»Gewiss, Euer Hoheit. Aber wie ich sehe, ist der Pomp noch nicht zu Ende.«
Hawkins deutete zum anderen Ende des Marktplatzes, wo sich aus einer Seitenstraße eine lange Prozession eigentümlich gewandeter Männer löste.
Marlborough rieb sich die Augen und sprach im Flüsterton. »Was ist das? James? Was, um Himmels willen, ist das?«
»Meines Wissens, Euer Hoheit, ist das die hier landesübliche Weise, Staatsoberhäupter mit allen Ehren zu empfangen. Die Männer der verschiedenen Gilden und des Parlaments paradieren nun in mittelalterlichen Gewändern und lassen so den alten Brauch des feudalen Treueschwurs wieder aufleben.«
Hawkins sollte recht behalten. Inzwischen konnte man die Personen besser erkennen. Die Mitglieder der Prozession trugen altertümliche Rüstungen, während die Jungen zu beiden Seiten mittelalterlichen Knappen und Herolden glichen.
Der Herzog lächelte gekünstelt, winkte herrschaftlich und zischte dann in Hawkins’ Richtung: »Wie lange wird das jetzt so gehen?«
»Nur eine Stunde, vielleicht zwei.«
Marlboroughs Miene hellte sich auf. »Und dann können wir uns zurückziehen?«
»Bis wir dinieren, Euer Hoheit.«
»Und dann?«
»Ich fürchte, Sir, die Honoratioren der Stadt hegen die Absicht, uns in den Genuss weiterer Aufführungen kommen zu lassen.«
***
Die Bediensteten hatten die Reste der Speisen längst abgedeckt, die Gläser jedoch – halb voll mit Wein und Brandy – noch stehen gelassen. In dem kleinen gestreiften Zelt, das die Diener des Herzogs rasch hinter der Empore auf dem Großen Platz errichtet hatten, stand Marlborough vor einem Kartentisch, umgeben von seinen Beratern und ranghohen Offizieren.
Kopfschüttelnd sagte er: »Was für ein Segen, eine kleine Atempause von all den schwatzhaften Kaufleuten zu haben.«
»Sie meinen es ja nur gut«, sagte Hawkins. »Sie erweisen Euch die Ehre.«
Marlborough quittierte die letzten Worte mit einem düsteren Blick. »Ehre? Was wissen diese Leute schon von Ehre? Sie wissen nicht viel mehr über Ehre als das, was sie in Büchern darüber gelesen haben. Die Ehre, die ich kenne,
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