Steels Duell: Historischer Roman (German Edition)
die Stadt zu laufen, nur weil Ihr mich zu sprechen wünscht. Wir hätten alle tot sein können! Sollten wir nicht auf der anderen Seite der Stadt in Sicherheit bleiben? Mir dünkt, hier habt Ihr mich weitaus mehr in Gefahr gebracht. Euch ist bewusst, dass Euch dies gemäß der Vereinbarungen meiner Gefangennahme ausdrücklich verboten ist? Ihr werdet Euch jetzt erklären, Major. Ich habe meine Rechte, auch als Kriegsgefangene.«
Malbec hatte sich inzwischen wieder gefasst und sah die junge Dame ungläubig an. »Rechte? Aber Ihr seid keine Kriegsgefangene, Madame. Ihr seid kein Offizier. Ihr seid eine englische Adlige, und daher genießt Ihr gewisse Privilegien als meine Gefangene. Aber die stehen nirgends in den Kriegsartikeln. Es tut mir leid, wenn Ihr Ungemach ausgesetzt seid, aber das ist wenig überraschend, wenn Eure Armee und Eure Navy das Feuer auf diese Stadt eröffnen und Hunderte von unschuldigen Zivilisten morden.«
Malbec deutete auf die Verwundeten, die inzwischen entlang der Mauern der Kasematten lagen. Am anderen Ende des Raums kennzeichneten Decken über reglosen Gestalten die Toten.
Lady Henrietta schaute sich zum ersten Mal richtig um. Der Anblick, der sich ihr bot, war so furchtbar, dass sie die Bilder für den Rest ihres Lebens nicht vergessen würde. »Oh, gütiger Gott. Nein. Das kann doch nicht das Werk unserer Geschütze sein. Sagt mir, dass das nicht die britischen Waffen waren! Nein, ich will es nicht glauben.«
Dann fehlten ihr offenbar die Worte. Sie schien zu taumeln, als fiele sie jeden Augenblick in Ohnmacht. Lieutenant Lejeune eilte zu ihr und half ihr zu einem Stuhl.
»Ich fürchte leider, dass die Briten die Ursache dieses Leids sind, Madame«, sprach Malbec weiter. »Also, was glaubt Ihr, was für Rechte solltet Ihr nach Meinung dieser Leute hier haben?«
Lady Henrietta schwieg. Sie senkte den Blick und begann zu schluchzen. Erst jetzt ergriff de la Motte das Wort, da er so außer Atem gewesen war.
»Habt Ihr die Stadt gesehen, Major? Diese armen Menschen. Ich … ich kann nicht tatenlos zusehen. Wir müssen den Briten die Tore öffnen, ehe noch mehr Blut von Unschuldigen vergossen wird.«
Malbec kam auf den korpulenten Gouverneur zu, der mit Verzögerung all die Verwundeten wahrnahm. »Major Malbec? Was hat das zu bedeuten? Warum habt Ihr diese Leute hereingelassen? Euer Befehl lautete doch …«
»Ich weiß, welchen Befehl ich gab. Aber ich habe es mir anders überlegt. Jetzt ist nichts dringlicher, als den Beschuss zu stoppen. Wie Ihr schon bemerkt habt, ehe noch mehr Blut vergossen wird. Aber wir werden die Tore nicht für die Briten öffnen. Wir werden nicht einmal verlieren. Ich habe da nämlich einen Plan, Gouverneur.«
Er gab Sergeant Müller ein Zeichen und deutete dann auf Lady Henrietta. Müller lächelte, trat an den Stuhl, auf dem die Dame saß, packte sie am Arm und zog sie hoch.
»Was bildet Ihr Euch ein, Ihr ungehobelter Klotz!«, empörte sich Lady Henrietta. » Laissez moi, laissez! Major! Ruft Euren Hund zurück!«
Malbec schüttelte derweil den Kopf und winkte Müller zu sich. Der Sergeant schleifte Henrietta halb durch den Raum und stellte sich grinsend vor den Major. Malbec sprach zu de la Motte gewandt. »Seht Ihr, Gouverneur, diese englische Lady ist unsere Geheimwaffe. Es ist alles recht einfach.«
Auf ein Zeichen hin schubste der Sergeant die Dame in Malbecs Richtung. Doch Henrietta wirbelte herum und überraschte den Veteranen. »Lasst mich los, Ihr Rüpel!«, schimpfte sie. Doch Müller lachte nur, worauf die Dame sich empört an den Major wandte. »Und Ihr, Sir, seid kein Gentleman.«
Ihren Worten wohnten Stolz und Furchtlosigkeit inne, in ihren Augen aber lag Entsetzen. Als Malbec erneut sprach, schaute er Lady Henrietta nicht an, sondern widmete sich mit einem Taschenmesser seinen Fingernägeln. »Wie amüsant. Ihr seid die zweite Person heute, die mich an diesen Umstand erinnert. Natürlich habt Ihr recht. Aber Ihr seid gewiss eine Lady. Und jetzt, Mylady, werdet Ihr den armen Menschen von Ostende helfen. Versteht Ihr, Eure Freunde dort draußen scheinen fest entschlossen, diese Stadt zu zerstören, und uns gleich mit. Das können wir doch nicht zulassen, oder?«
»Was habt Ihr mit mir vor?«, fragte sie vorsichtig abwartend.
Er sah ihr fest in die Augen. »Ich beabsichtige, das zu tun, was jeder vernünftige Mensch in meiner Position tun würde. Gentleman oder nicht. Ich habe vor, Euch zu benutzen, um diesem Irrsinn Einhalt zu
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