Stein und Flöte
sagte der hochgewachsene, etwas beleibte Mann, den sie im angrenzenden Raum traf. »Ich muß mit dir reden.« Er stand im Halbdunkel des von wenigen Öllampen nur schwach erhellten Zelts und warf ungeduldig den Kopf zurück, daß seine Schläfenzöpfe nach hinten flogen. Es war offenkundig, daß er eben erst von einem längeren Ritt zurückgekehrt war; denn seine Lederkleidung war grau vom Staub der Steppe.
»Du warst viele Tage unterwegs, Höni«, sagte Belenika. »Willst du nicht erst deine Kleider wechseln und mit mir zu Abend essen? Danach können wir in Ruhe miteinander reden.« Sie wollte zwei Mägden, die in einem Winkel mit irgendeiner Arbeit beschäftigt waren, schon Anweisungen geben, aber Höni hielt sie zurück und scheuchte die Leute mit einer jähen Handbewegung aus dem Zelt. »Erst muß ich dich etwas fragen«, sagte er, sobald sie allein waren. »Hältst du dir heimlich einen Jagdfalken?«
»Wie kommst du auf diesen Gedanken?« fragte Belenika.
»Nicht von mir aus«, sagte Höni. »Der Khan hat danach gefragt; denn er hat einen solchen Falken fliegen sehen und war der Meinung, er sei aus unserem Zelt gekommen. Als er mir das sagte, habe ich gelacht, denn so etwas müßte ich ja gemerkt haben. Doch als wir heute abend auf das Lager zuritten, habe ich mit eigenen Augen einen Falken gesehen, der eilig auf das Lager zuflog und zwischen den Zelten verschwand, wenn man auch nicht genau beobachten konnte, wo er geblieben ist. Und der Khan ritt vor mir und hat diesen Falken ebenfalls beobachtet. Soll ich dir sagen, was er davon hält? Er ist der Meinung, daß du dir diesen Falken hältst, um insgeheim Botschaften nach Falkenor zu schicken. Bist du eine Verräterin, Belenika?«
»Nein«, sagte Belenika sofort, »das bin ich nicht, was immer der Khan auch von mir denken mag.«
»Gut«, sagte Höni, »ich will dir das glauben. Dennoch vermute ich, daß du zu Hause bei deinen Leuten geheime Künste gelernt hast, von denen ich nichts weiß.«
Belenika wollte ihn unterbrechen, aber er hielt sie mit einer Handbewegung davon ab und fuhr fort: »Von denen ich auch nichts wissen will. Wenigstens jetzt noch nicht. Nur eines will ich dir dazu noch sagen: Der Khan wird künftig ein Auge auf dich und unser Zelt haben. Gib acht auf dich bei allem, was du tust! Versprichst du mir das?«
»Ich werde mich nicht leichtsinnig in Gefahr begeben«, sagte Belenika. »War es das, was du mir sagen wolltest?«
»Noch nicht alles«, sagte Höni. »Aber der Rest läßt sich in Ruhe besprechen.« Er ließ sich auf einer Kissenbank an der Zeltwand nieder und bat Belenika, sich neben ihn zu setzen. »Seit Arni von den Leuten des Großen Brüllers aus dem Sattel geschossen wurde, muß ich oft an ihn denken«, begann er.
»Mir geht es nicht anders«, sagte Belenika. »Ich mochte ihn lieber als seinen Bruder.«
»Ich weiß«, sagte Höni. »Du hast dich immer gut mit ihm verstanden. Deshalb will ich dich auch in dieser Sache jetzt ins Vertrauen ziehen. Auch ich habe vieles von dem nicht verstehen können, was Arni gesagt und getan hat. Aber seit seinem Tode spüre ich immer deutlicher, welchen Einfluß er auf den Khan und die Horde ausgeübt hat. Immer häufiger gibt es jetzt Auseinandersetzungen zwischen den Leuten, und statt sie zu schlichten, stachelt Hunli die Streitenden noch an, als bereite es ihm Freude zuzusehen, wie sie einander die Köpfe einschlagen. Wenn ihm dann dieses Spiel keinen Spaß mehr macht, bestraft er die Kampfhähne mit einer Grausamkeit, die schon vielen unerträglich geworden ist. In den letzten Wochen habe ich mit einigen Männern, denen ich vertrauen kann, darüber gesprochen, und sie sind allesamt meiner Meinung.«
»Wenn ihr im Sinn habt, Hunli seine Würde als Khan zu nehmen, dann müßt ihr ihn schon erschlagen«, sagte Belenika. »Anders wird er seinen Anspruch nicht aufgeben.« Man konnte ihr ansehen, daß ihr dieser Gedanke nicht gefiel, doch Höni hob abwehrend die Hand und sagte: »Das brauchst du nicht zu befürchten. Aber wir wollen uns samt unseren Familien von der Horde trennen und dabei Arni zum Vorbild nehmen. Arni lebte bei uns immer im Zwiespalt mit sich selbst, weil es ihm widerstrebte, andere Leute um der Beute willen zu überfallen oder gar zu töten. Wir wollen jetzt versuchen, ob wir nicht ein Leben im Frieden mit unseren Nachbarn führen können.«
Belenika hatte aufmerksam zugehört und dachte eine Weile nach. Dann sagte sie: »Ihr scheint das ja alles schon ziemlich genau
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