Steinhauer, Franziska
Menschenfresser!“, behauptete der Angesprochene und begann damit, die Figuren aus den Wandnischen in seinen Rucksack zu stopfen.
Mario grinste, griff diesmal aber nach dem Kelch.
Dirk Stein war hinter dem Altar in der Zwischenzeit mit dem Triptychon beschäftigt.
Mit sicher geführten Schnitten trennte er die Leinwand aus den kunstvoll geschnitzten Rahmen. Liebevoll betrachtete er die zarte Darstellung der Jungfrau mit dem Kinde, bevor er das Bild vorsichtig zusammenrollte und in eine Pappröhre schob. In gleicher Weise verfuhr er mit dem Mittelbild, einer Kreuzigungsszene, als ein eindringliches „Psssst“ von Robert ihn aufschreckte. Sofort schaltete er sein Licht aus. Mit einer Handbewegung bedeutete er den anderen, ihre Lampen ebenfalls zu löschen und sich im Gestühl zu verstecken.
In Sekundenschnelle hatte das Quartett sich unsichtbar gemacht.
Alle lauschten mit angehaltenem Atem.
Quälend langsam öffnete sich die Tür.
Der Strahl einer kraftvollen Taschenlampe durchschnitt die Dunkelheit wie ein gellender Schrei die Stille der Nacht.
„Wer ist das?“, hauchte Mario in Julians Ohr.
„Ich kann nichts erkennen.“
„Wo zum Teufel ist Robert?“
Marios Hände fuhren tastend umher, stießen jedoch nur auf den Rucksack ihres Begleiters.
„Hallo?“, fragte eine zaghafte Stimme besorgt.
Als keine Antwort zu hören war, wurde die Tür mutig aufgestoßen.
„Ist hier jemand? Treten Sie hervor!“, forderte die Stimme nun entschlossen.
Die Kirchenräuber antworteten nicht.
„Na, hier geht doch etwas nicht mit rechten Dingen zu!
Diese Tür habe ich doch vorhin eigenhändig abgeschlossen!“, hörten sie die Stimme schimpfen, als plötzlich ein „Hmmmpf“, gefolgt von einem dumpfen Aufprall zu hören war. Die Taschenlampe fiel zu Boden, rollte unter die letzte Reihe des Gestühls, und der Lichtstrahl verlöschte.
Keiner rührte sich.
Es blieb vollkommen still.
Was ging hier nur vor sich, rätselte Dirk Stein, der von seinem Versteck aus keine freie Sicht auf die Tür hatte. Ausgerechnet beim ersten Einsatz der neuen Gruppe ging etwas schief!
In der undurchdringlichen Finsternis war zu hören, wie jemand eine schwere Last in den Kirchenraum schob, zog, zerrte. Sie hörten ihn vor Anstrengung keuchen.
Dann wurde die Tür wieder geschlossen.
„Hey, ihr Angsthasen!“, rief Robert und schaltete seine Lampe ein.
„Robert! Was hast du getan?“, wollte Stein wissen. Sein Ton war schneidend, und Mario zuckte unwillkürlich zusammen. Ärger stand bevor.
„Na, was wohl? Die Situation geklärt, würde ich mal sagen. Mit einem Arm!“, antwortete Robert stolz.
Die Köpfe von Mario und Julian tauchten hinter dem Gestühl auf. Der Kunstkritiker stand neben Robert in der Nähe der Tür.
Auf dem Steinboden direkt vor ihren Füßen lag der Pfarrer und rührte sich nicht mehr.
Er blutete kräftig und anhaltend aus einer Wunde am Hinterkopf, im unruhigen Schein der Lampen war zu erkennen, dass die Lache stetig größer wurde.
„Robert!“ Stein bebte vor Zorn. „Niemand hat dir den Auftrag erteilt, Gewalt anzuwenden!“
„Stimmt auffallend“, bestätigte Robert gleichgültig. „Aber er hätte uns gesehen. Wäre vielleicht in der nächsten Sekunde laut schreiend davongelaufen. Also musste er beseitigt werden. Keine Zeugen! So war’s besprochen!“
„Packt ein, was wir mitnehmen wollen – und dann nichts wie weg hier!“, schnauzte Stein seine drei Mitstreiter an.
„Und was wird mit ihm?“
„Wir lassen ihn hier liegen“, entschied Stein.
„Aber er ist nicht tot!“, bemängelte Robert. „Womöglich findet ihn jemand, und er wird gerettet. Dann wäre er ein wichtiger Zeuge für die Polizei!“
„Er konnte doch gar nichts sehen! Welche Aussagen könnte er also machen? Keine! Ergo bleibt er hier liegen!“, antwortete Stein in so geringschätzigem Ton, dass Robert zusammenzuckte.
„Schon klar, alter Mann! Sie halten mich wohl für blöd! Ich war so nah an ihm dran, der konnte mich ganz genau sehen “, behauptete er dann.
„Was denn? Du trägst eine Skimaske!“, schrie Stein ihn an.
„Wir sollten ihn dem letzten Reich näher bringen“, insistierte Robert uneinsichtig. „Nocturnus sprach von einem besonderem Auftrag: Jetzt ist auch klar, warum. Er hat natürlich schon gewusst, dass wir auf diesen Pfaffen treffenwerden. Es ist eine Prüfung und wir haben keine Lust, sie nicht zu bestehen! Das seht ihr doch genauso?“
„Ja, wir sollten es zu Ende bringen!“,
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