Steinhauer, Franziska
der Mörder konnte nur über den Garten gekommen sein. Du warst auf der oberen Wiese, hättest jemand anderen demnach sehen müssen, denn von der Straße aus ist niemand ins Haus eingedrungen. Der wäre mit Sicherheit beobachtet worden. Wer also außer dir kam infrage?“
„Ja, darin liegt das Problem. Wer könnte ein Motiv gehabt haben?“ Jakob setzte sich wieder und stützte den Kopf in die Hände. „Sie?“
„Ich? Nein. Welches Motiv hätte ich haben sollen?“
„Ihre Behandlung. Vielleicht ist Ihnen ein Fehler unterlaufen, und Sie versuchten ihn zu vertuschen.“
„Die Therapie war auf dem neuesten wissenschaftlichen Stand!“, wehrte sich der Arzt gegen die ungeheuerliche Unterstellung. „Außerdem hat das Krankenhaus die Medikation festgelegt. Ich habe nur den Zustand der Patientin überwacht und die Rezepte ausgestellt.“
„Sie nicht, ich nicht, wer dann?“ Jakob fuhr sich müde mit den Händen durchs Gesicht.
„Peter? Er hat seine kleine, zarte Tochter sehr geliebt. Vielleicht hat er ihr Leiden nicht mehr ertragen?“
„Aus Liebe! Scheint ja Ihr Lieblingsmotiv zu sein!“
„Hass? Bei Maria fällt es schwer zu glauben, jemand könnte sie gehasst haben. Mir fällt nicht ein Einziger ein, der auch nur einen leichten Groll gegen sie gehegt hat.“
Nach einer Pause fragte Dr. Gneis: „Was ist mit Amalia?“
„Unsinn! Amalia war ihre beste Freundin!“
„Nun, eben. Sie behauptet doch immer, sie könne in die Zukunft sehen. Vielleicht wusste sie, dass Maria am Ende doch qualvoll sterben würde, und hat Schicksal gespielt?“
„Niemals! Amalia hat Maria immer Mut gemacht. Wenn sie weinte, wenn sie verzagt war – immer. Außerdem hätte sie nicht zugelassen, dass die Kinder und ich in eine solche Situation geraten! Nein, mit Sicherheit nicht! Amalia hat nichts mit Marias Tod zu tun!“
„Hm“, brummte Dr. Gneis und legte die Stirn in Falten. „Anton hatte eine andere Theorie, aber wahrscheinlicher ist die in meinen Augen auch nicht, obwohl sie nicht ganz unlogisch klingt.“
„Weißt du, ich fürchte, in diesem Fall hat jeder seine eigene Wahrheit. Allerdings können wir davon ausgehen, dass nur eine stimmt.“
Der Arzt begegnete dem ratlosen Blick Jakobs und setzte hinzu: „Die des Mörders.“
Amalia saß mit ihrer Hündin auf dem Boden vor dem Kamin und starrte in die Flammen, während sie mit den Händen Hildegards dichtes Fell kraulte.
„Tja, meine Gute. Dies ist nun unser letzter gemütlicher Nachmittag. Es ist wirklich zu schade, dass die Menschen untereinander keinen Frieden halten können.“ Sie legte zwei Holzscheite nach und beobachtete, wie das Feuer sie zu verzehren begann.
„Das Schlimmste ist, dass ich an dieser Entwicklung nicht ganz unschuldig bin. So wie Ärzte ihre eigenen Familienangehörigen besser nicht therapieren sollten, wäre es auch von Wahrsagerinnen weise, nicht in die Zukunft ihrer Freunde zu blicken. Damals habe ich deutlich Marias Tod gesehen und ging naiv davon aus, sie müsse an ihrer Krebserkrankung sterben. An Mord habe ich keine Sekunde gedacht! Ein fataler Fehler, Hildegard, ich hätte mir mehr Gedanken darüber machen müssen! Aber diesmal werde ich mich richtig verhalten.“
Der große Hund räkelte sich und gähnte laut.
„Es bleibt nur noch eine kurze Frist, dann ist es mit der Ruhe vorbei.“ Amalia kuschelte sich trostsuchend an Hildegard. „Wir machen nachher einen Besuch bei Freunden.“
Schnaubend bettete der Hund seine angegraute Schnauze in den Schoß der Freundin.
Linas Hände ruhten auf ihrem mächtigen Bauch, während ihre Blicke besorgt von einem zum anderen huschten.
„Und ihr seid wirklich sicher, dass sie keine Babys rauben?“
„Ja. Das ist nur Aberglaube, dummes Geschwätz. Aber dass eine reale Gefahr von ihnen ausgeht, ist dennoch nicht zu leugnen“, erklärte Stefano Berger. „Sie verführen die Heranwachsenden! Die von ihnen propagierten Ideale fallen gerade bei Pubertierenden auf fruchtbaren Boden!“
„Ideale? Was soll denn das heißen? Welche Ideale hätten wohl Teufelsanbeter?“, wollte Annemarie wissen.
Die Gruppe hatte sich erneut bei einer Tasse Tee um Bertas Küchentisch versammelt, um zu besprechen, wie sie der Lage Herr werden konnten.
„Nun, sie erklären den Mitgliedern zum Beispiel, der wichtigste Feiertag im Jahr sei der eigene Geburtstag – schon deshalb, weil für das eigene Leben niemand anders eine so große Bedeutung haben könne wie man selbst. Bei Jugendlichen in einer
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