Steinhauer, Franziska
es verstehen. Helene! Im eigenen Haus beinahe umgebracht! Das war zu viel für den Witwer. Es war richtig von Jakob, seine Zelte hier abzubrechen. Vielleicht hätte er es wegen der Kinder sogar schon früher tun sollen.
„Aber wer denkt denn auch an so was!“, murmelt der Arzt vor sich hin.
Ob der Jakob wohl der Richtige ist, um die beiden allein großzuziehen? Sicher, er ist der Vater, aber in diesem Zustand für die Kinder keine Hilfe, grübelt Dr. Gneis weiter.
„Vielleicht habe ich einen großen Fehler gemacht“, vertraut er seiner Lasagne an. „Aber nun ist es zu spät!“
Nocturnus lächelte diabolisch.
Vor ihm lag eine Sonderausgabe der lokalen Zeitung, in der mit großer Empörung und haltlosem Entsetzen über den brutalen Mord an einem Geistlichen im Passeiertal und dem dreisten Kirchenraub berichtet wurde. Die Polizei vermutete das organisierte Verbrechen hinter dieser Untat, glaubte, die Kirchenschätze seien in den Kellern und Safes der Mafia verschwunden, und ausländische Sammler würden sie nun zu immensen Preisen erwerben, um sie ihrerseits in gepanzerten Schränken aufzubewahren. Für die Allgemeinheit waren sie verloren.
Dirk Stein hatte wie immer zuverlässig gearbeitet und den Auftrag professionell ausgeführt. Er hob den Kopf.
„Ihr habt diesen Gottesmann erschlagen, obgleich Dirk euch aufforderte, es nicht zu tun!“
Robert, Julian und Mario senkten den Blick zu Boden. „Vielleicht habe ich mich nicht verständlich genug ausgedrückt, deshalb wiederhole ich es jetzt noch einmal in aller Deutlichkeit: Wenn ihr zu Sondereinsätzen unterwegs seid, ist es der Führer vor Ort, dessen Anweisungen ihr unbedingt Folge zu leisten habt! Diese Führer werden von mir eingesetzt. Eure Zuwiderhandlung ist in diesem Fall ein Ungehorsam mir gegenüber!“
Sie hatten Nocturnus noch nie so wütend erlebt.
Die drei senkten die Köpfe noch tiefer und starrten auf die Maserung der Holzdielen, als könne ihnen von dort eine Erleuchtung kommen. Dieses Gespräch hatten sie sich völliganders vorgestellt, und der Verlauf, den es nun zu nehmen schien, beunruhigte sie. Hatten sie die Position des Kunstkritikers etwa falsch eingeschätzt?
„Mir ist bewusst, dass es nicht einfach ist, sich unterzuordnen. Besonders dann, wenn man glaubt, im Recht zu sein. Doch auch das ist eine Form von Respekt, die ihr offensichtlich noch nicht gelernt habt!“
Nocturnus’ Faust donnerte machtvoll auf seinen Schreibtisch.
Keiner der drei wagte aufzublicken.
„Ihr müsstet die Kinder Lucifers nun verlassen“, erklärte Nocturnus ruhiger und wartete.
Befriedigt beobachtete er, wie alle Farbe aus den jungen Gesichtern wich. Kevin hatte es auch bei diesen Neulingen innerhalb kürzester Zeit geschafft, die emotionalen Wurzeln zu kappen und dafür zu sorgen, dass sie sich ein Leben ohne ihre neue Familie nicht mehr vorstellen konnten. Bei Gelegenheit würde er ihn dafür belohnen, nahm er sich vor.
Als er das Gefühl hatte, dass er sie lange genug im Ungewissen gelassen hatte, sprach er leise weiter.
„Ich hielt Zwiesprache, und siehe: Der Herr der Finsternis hält euch zugute, dass es ein heuchlerischer Pfaffe war, den ihr erschlugt. Er wird Gnade walten lassen. Mario! Julian! Bei euch nun schon zum zweiten Mal! Bedenkt in Zukunft, dass die Geduld Satans schnell überstrapaziert werden und dann die Vernichtung drohen kann!“, mahnte der Priester eindringlich.
„Jawohl“, murmelten Robert, Mario und Julian gleichzeitig.
„Außerdem hält er euch zugute, dass ihr durch euer Eingreifen großen Schaden von den Kindern Lucifers abgewendethabt, denn der Pfarrer wäre sicher ein guter Zeuge gewesen. Satan weiß, dass dieser Mann sich nur besinnungslos stellte und in Wahrheit hörte und sah, was um ihn herum vorging. Robert, bei dir ist der Meister bereit, alle angefallenen Minuspunkte zu streichen. Du hast demnach ein ausgeglichenes Konto und kannst mit dem Sammeln für Zerberus beginnen. Geht jetzt!“
Robert verbeugte sich und huschte so schnell es ihm möglich war zur Tür hinaus.
Julian und Mario atmeten innerlich auf.
Sie hatten sich also nicht getäuscht.
„Und nun zu euch!“, wandte sich Nocturnus an die Freunde. „Der Meister sieht Disziplinlosigkeit nicht gerne. Er wird euch für diesen Pfaffenmord ein Drittel der Punkte gutschreiben, die ihr für den Übertritt benötigt. Aber ihr sollt wissen: Von nun an wird er euch prüfen! Es ist an euch, ihn zu überzeugen. Seid ihr voll Zweifel, Wankelmut oder
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