Steinhauer, Franziska
Angst, wird der Meister seine Konsequenzen ziehen – und dann kann euch keiner mehr davor bewahren!“, drohte Nocturnus. „Ihr wärt also gut beraten, den nächsten Auftrag etwas weniger stürmisch anzugehen. Zieht euch jetzt bis zur Zusammenkunft in euer Zimmer zurück.“
Die Freunde verneigten sich ehrerbietig und verließen wortlos den Raum.
Antons Haut hatte einen bläulichen Schimmer.
Jakob spürte die Kraft schwinden, mit der sein Bruder gegen den Tod anzukämpfen versuchte.
Schon bald würde er seinen Widerstand aufgeben müssen und die Krankheit den Sieg über ihn davontragen.
Aber das hatte er damals bei Marias Tod auch gedacht und sich gründlich getäuscht.
Denn als Maria gestorben war, hatte ein Mörder gesiegt. Anton hatte all die Jahre über geahnt, wer dieser Mörder war. Aber da sich keine Beweise gefunden hatten, war er zu dem Schluss gekommen, seine Vermutungen besser für sich zu behalten. Bis zu diesem Tag.
„Sieh dich vor, Jakob!“, ermahnte er den Bruder mit schwacher Stimme und schloss die Augen.
Waltraud schluchzte leise.
Schwerfällig erhob sich Jakob und verließ das Sterbezimmer, um dem Ehepaar Zeit zu geben, sich voneinander zu verabschieden.
Draußen lehnte er den Kopf schwer gegen die raue Wand und bedauerte, die Fähigkeit verloren zu haben, weinen zu können. Was sollte er nun tun? Mit den wirren Argumenten und Schlussfolgerungen, die Anton ihm auf dem Sterbebett anvertraut hatte, würde er die Polizei sicher nicht dazu bringen, Ermittlungen aufzunehmen.
Nein, entschied er dann, dieses Problem wartete schon viel zu lange darauf, gelöst zu werden. Er würde es selbst in die Hand nehmen! Dr. Gneis! Mit ihm musste er zuerst sprechen!
Wenig später trat Waltraud mit verschleiertem Blick nach draußen.
„Es ist vorbei. Er hat es überstanden“, flüsterte sie und legte Jakob ihre zitternde Hand auf den Arm.
Jakob umarmte sie fest und fuhr zurück nach St. Gertraud.
Nichts ist vorbei, dachte er.
Es fängt gerade erst richtig an.
Phobius stieß einen der beiden Männer kraftvoll durch den Raum, sodass er zu Füßen des Sektenführers liegen blieb.
„Verräter!“ Nocturnus’ Stimme vibrierte gefährlich vor Zorn. „Steh auf!“
Schwankend kam Gregor wieder auf die Füße.
Kevin Baumeister beobachtete mitleidlos, wie die beiden versuchten, ihre Panik und ihre Schmerzen zu verbergen. Schon bald würden sie winseln!
„Wir haben nichts verraten!“, behauptete Alex selbstbewusst.
„Ihr habt den Körper des Babys bestattet! Aber so oberflächlich, dass er bereits gefunden wurde! Ich dulde nicht, dass Aufträge so nachlässig ausgeführt werden! Und so glaubt ihr, ich sei im Irrtum, wenn ich euch Verräter nenne?“
Metallisch, überlegte Baumeister, ja, die Augen des Hohepriesters glänzten wie flüssiges, glühendes Metall. Er wusste, dass das kein gutes Zeichen war.
Unvorsichtigerweise nickte Gregor.
Nocturnus’ Bewegung war so schnell, dass niemand sie hatte kommen sehen. Plötzlich schrie Gregor auf und schlug sich die Hände vors Gesicht. Blut sickerte durch seine Finger, tropfte auf den Boden, und sein Schreien schwoll an.
Von der Gerte in Nocturnus’ Händen, an deren Ende ein dreieckiges Metallstück befestigt war, tropfte ebenfalls Blut auf den Boden.
„Nimm deine Hände runter und benimm dich wie ein Mann!“, herrschte Phobius Gregor an.
Alex starrte entgeistert in Gregors zerstörtes Gesicht. Die Gerte hatte die Wange über dem Mund so tief eingerissen, dass Knochen, Kiefer und Zähne freilagen.
Robert, der dieser Bestrafung beiwohnen durfte, entdeckte Gewebeteilchen auf seinem Verband und leckte sie mit sichtlichem Vergnügen ab.
„Hochmut! Noch ein Problem deines Charakters!“ Nocturnus sah von einem zum anderen, und der Ekel in seinen Zügen verstärkte sich.
„Einer von euch hat die Polizei informiert. Mit einem anonymen Schreiben, in dem der Fundort stand! Ihr werdet mir jetzt erzählen, wer von euch beiden das getan hat. Freiwillig. Ja, ihr werdet darum betteln, es mir beichten zu dürfen!“, prophezeite Nocturnus.
Phobius trat mit einem zufriedenen Lächeln zur Seite und gab den Blick auf einen großen Kessel frei.
„Sehe ich Erschrecken in euren Augen? Aber dazu besteht kein Grund. In diesem Kessel ist doch nur Wasser!“
Wie tröstend glitt die Hand des Hohepriesters über Alex’ Hinterkopf. „Kaltes!“
Unvermittelt packte er zu und drückte Alex’ Kopf unter Wasser. Sein eiserner Griff lockerte sich nicht eine
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