Steinhauer, Franziska
und Heiko weinen.
Jakob weiß, dass die beiden nicht verstehen können, warum ihre Mutter nicht mehr zu ihnen zurückkehrt. Jakob kann es ja selbst nicht. Ihm ist bewusst, dass man jetzt Stärke von ihm erwartet, Kraft, um sich und die Kinder durch das Leid zu bringen. Aber er fühlt sich schwach, überfordert. Anton meint, das gehe wieder vorbei, doch Jakob glaubt das nicht. Diese bleierne Schwere, da ist er sich sicher, wird ihn fortan durch sein Leben begleiten.
Warum war ich nicht bei dir, als du sterben musstest, fragt er sich immer wieder, warum?
Als er den Blick für einen Moment hebt, sieht er Berta und seinen Schwiegervater auf der anderen Seite des Grabes stehen. Bertas Blick ist unergründlich, Peter weint. Bestimmt denkt er in diesem Augenblick an die Beisetzung seiner eigenen Frau, die auch viel zu jung gestorben ist.
Der Pfarrer spricht salbungsvoll vom Willen des Herrn, dem sich der Mensch beugen müsse, und davon, dass er jedem die Last aufbürde, die dieser auch tragen könne.
Lüge, möchte Jakob schreien, Lüge! Diese Bürde kann ich niemals tragen! Doch er schweigt.
Die Urne verschwindet im Grab.
Erstaunlich, denkt Jakob, wie schrecklich wenig doch von einem geliebten Menschen übrig bleibt!
Als man sich nach der Zeremonie im Ultnerhof versammelt, ist Amalia nirgends mehr zu sehen. Jakob hat sie nur kurz zu Gesicht bekommen, hinter dem Widum versteckt. Nicht einmal zur Beerdigung ihrer Freundin darf sie sich unter die Dorfgemeinschaft mischen.
Jemand klopft mit dem Messer gegen sein Glas.
Es wird still.
Martha möchte eine Rede halten.
Jakob versteift sich, als die boshaften Worte sein verschüttetes Bewusstsein erreichen.
„Ist es nicht eine Schande, dass sich der Witwer so wenig an das hält, was seine Frau für ihre Beerdigung vorgesehen hat?“ Marthas Stimme ist schrill. „Aber was will man auch erwarten von so einem Mann! Maria wünschte sich einen weißen Sarg mit roten Rosen und weißen Lilien darauf, sie wollte eine traditionelle Bestattung mit Blaskapelle und allem anderen!“
Das ist nur ein Albtraum, Jakob ist sich sicher, er muss nur die Augen aufschlagen, und alles ist, wie es immer war, doch das Aufwachen will nicht gelingen. Mit unbewegter Miene hört er, was nun über ihn getuschelt wird.
„Mir hat die Maria sogar erzählt, dass sie sich schon seit einiger Zeit vor Jakob fürchtet“, weiß Annemarie zu berichten.
Jakob versucht aufzustehen, das gelingt nur mit Antons Unterstützung.
Wie betäubt verlässt die Familie den Gasthof.
Auf dem Heimweg begegnen sie Leopold, der wie angewurzelt stehen bleibt und Jakob mit aufgerissenem Mund anglotzt.
Dann reißt sich der Junge vom Anblick des Witwers los, lallt unverständliche Sätze, läuft schreiend und wild gestikulierend davon.
Erst am späten Abend erfährt Jakob, was Leopold zu erzählen hat.
Jakob Gumper blieb einige Tage länger als beabsichtigt im Haus seines Bruders.
Er hatte den Kindern zwar von dem Transparent erzählt, das über ihrem Hauseingang gehangen hatte, die Inszenierung im Schuppen aber unerwähnt gelassen. Heiko hatte mit Empörung reagiert, Jakob jedoch nicht täuschen können. Zu deutlich spürte der Vater, wie der Wunsch nach Rache in seinem Sohn zu wachsen begann. Helenes Reaktion war dagegen kalter Hass gewesen, und noch am selben Tag hatte sie ihre schon fast vergessene Schaukelei wieder aufgenommen. Mit hochgezogenen Knien hockte sie in einer Ecke, die Arme fest um beide Beine geschlungen,wippte nach vorne und wieder zurück und summte dabei stundenlang dieselbe Melodie.
Sie konnten die Gastfreundschaft Waltrauds nicht mehr länger in Anspruch nehmen, erkannte Jakob, sonst würde dieser Besuch in einer Katastrophe enden. Das Verfallsdatum für die Absprachen mit seinen Kindern war überschritten.
„Na, woran denkst du?“, fragte Waltraud freundlich und brachte zwei Gläser Wein aus der Küche mit.
„Es ist noch viel zu tun“, seufzte Jakob und stieß mit ihr an. „Und nun zieht auch noch diese Sekte auf der anderen Talseite ein! Ein Satanskult im Ultental! Ob die wohl wussten, was für eine hervorragende Wahl sie mit diesem Ort getroffen haben? Immerhin haben sie so gut wie freie Sicht auf das Widum.“
„Das war bestimmt nur ein Zufall! Hast du Angst, Heiko und Helene könnten sich für diese Gruppe interessieren?“
Ächzend ließ sie sich in ihren Sessel fallen.
„Nein, eigentlich nicht. Aber bei Heiko weiß man nie, was er gerade denkt oder plant.“
„Ja, das ist
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