Stell Dir vor Du bist Kind - und es ist Krieg Mein Vater erzählt - Gutkin, P: Stell Dir vor Du bist Kind - und es ist Krieg Me
Kanonen.“
Wir hatten aber so großen Hunger, dass wir die Warnung ignorierten und weiter gefahren sind. Wenn man wirklich richtig großen Hunger hat, dann tut man alles Mögliche, um etwas Essbares zu bekommen. Als wir Neuss hinter uns gelassen hatten, war der Kriegslärm lautstark donnernd. Nun haben wir Angst bekommen, die größer war als unser Hunger.
Also haben wir lieber kehrt gemacht. Enttäuscht und immer noch sehr hungrig, radelten wir wieder über die Südbrücke zurück.
Wir hatten den Rhein gerade überquert, als die ersten Granaten der amerikanischen Panzer einschlugen.
Wir haben die Fahrräder zur Seite geworfen und im Straßengraben Deckung gesucht. Die Soldaten in den Fuhrwerken blieben ganz ruhig. Es schien so, als ob ihnen das gleichgültig war, als ob sie abgestumpft waren.
Die Oberleitungen der Straßenbahn rissen einseitig ab und fielen zu Boden. Funken sprühten aus den tanzenden Leitungen. Die Einschläge der Granaten krachten und blitzten. Eine Oberleitung nach der anderen kam herunter. Ein ohrenbetäubendes, wahnsinniges Inferno, das wir aus dem Straßengraben beobachteten. Menschen und Pferde wurden getroffen und lagen tot auf der Straße. Ich dachte nur ‚hoffentlich überleben wir das‘.
Nach einer endlos scheinenden Zeitspanne hörte der Beschuss auf. Wir warteten einige Minuten, krabbelten aus dem Straßengraben und schnappten uns unsere Fahrräder, die wie durch ein Wunder unbeschädigt waren.
Wie Irre fuhren wir bis zum Südfriedhof. Hier waren wir einigermaßen sicher.
Wir stoppten, schnappten nach Luft und dachten sofort an die toten Pferde und unseren Hunger. Schnell fuhren wir weiter nach Hause. Als wir dort ankamen, haben wir das Geschehene sofort unseren Eltern erzählt. Mein Vater hat auf der Stelle Nachbarn und Freunde zusammengetrommelt. Genau wie wir zuvor, auf Fahrrädern und mit Rucksäcken auf dem Rücken, in denen scharfe Messer steckten, sind sie zur Südbrücke gefahren.
Später kamen sie mit viel Fleisch zurück. Das war für uns wie ein Feiertag.
Schuss mit der Panzerfaust
Gegen Ende des Krieges hatten viele Soldaten aufgegeben und sind von der Front geflüchtet, um nicht in Kriegsgefangenschaft zu geraten. Sie trugen nun Zivilbekleidung und haben ihre Uniformen und Waffen einfach weggeworfen. Es lag alles irgendwo zwischen den Trümmern herum.
Meine Freunde und ich hatten gehört, dass die Skagerrak-Brücke, die heutige Oberkassler-Brücke, im Rhein lag. Sie war auf Befehl von Gauleiter Florian am 3. März 1945 von den eigenen Soldaten gesprengt worden, damit die Amerikaner nicht so einfach über den Fluss gelangen konnten. Jedoch standen die amerikanischen Verbände am linken Rheinufer, auch im Stadtteil Oberkassel, und hatten die Stadt von dort aus unter Beschuss genommen.
Ich, als dreizehnjähriges Kind, fand das alles ziemlich spannend. Ein geregeltes Leben war nicht möglich. Es gab kaum etwas zu kaufen. Man versuchte zu organisieren, was man dringend brauchte oder haben wollte. Geschäfte wurden geplündert; trotz der Warnungen der Geschäftsinhaber, dass Plünderer erschossen werden. Schulunterricht fand schon länger nicht mehr statt.
Einer meiner Freunde meinte, wir müssten unbedingt mal in die Altstadt zum Rheinufer. Gesagt – getan. Zu viert liefen wir über Straßen, die noch erhalten waren oder kletterten über Trümmerberge. Das Ausmaß der Zerstörung war unglaublich.
© Stadtarchiv der Landeshauptstadt Düsseldorf - Sign.: 128-100-010
Die Stadt war ein einziges Trümmerfeld. Doch gelangten wir irgendwann zum Burgplatz.
© Stadtarchiv der Landeshauptstadt Düsseldorf - Sign.: 127-119-001
Vorsichtig schlichen wir an den noch vorhandenen Grundmauern entlang, damit uns der amerikanische Pilot des patrouillierenden Aries, ein Doppeldecker Flugzeug, nicht entdeckte.
Das Beobachtungsflugzeug flog ständig Kontrollflüge bis nach Dormagen und wieder zurück. Der Pilot meldete jede Bewegung, die er auf feindlichem Gebiet wahrnahm, an die am Boden stationierten Truppen. Diese haben sofort das Feuer eröffnet und auf alles, was sich in der rechtsrheinisch liegenden Stadt bewegte, geschossen.
Hinter dem Eckhaus der letzten Häuserfront vor dem Fluss suchten wir Deckung. Aus unserem Versteck heraus beobachteten wir den Ariesbeobachter, der gerade vorbei flog.
Plötzlich hörten wir das uns schon bekannte Geräusch: „PAK“! Der Pilot musste irgendeine auffällige Bewegung an seine Kameraden durchgegeben haben. Diese reagierten, indem
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